Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
fühlte sich kaputt wie die ganze Stadt. Sie mietete sich eine Einzimmerwohnung, in der alles mehr als nur einem Zweck diente. Die kleine Badewanne war gleichzeitig Küchenanrichte, und das Bett versteckte sich aufrecht im Schrank wie ein Mörder. Wenn sie ihr Zimmer betrat, flitzten Schaben und anderes Getier die Wand hoch und suchten Zuflucht in jeder Ritze. Aber der Mann mit dem Musikclub gab ihr tatsächlich einen Job. Sie stand am Eingang, mit einem Stempel bewaffnet, den sie erst auf ein violettes Stempelkissen und hernach auf den Handrücken der Gäste drücken musste. Jeder Stempeldruck hinterließ auf der Haut eine Biene im Flug, deren ausgestreckte Antennen signalisierten, dass sie irgendetwas suchte. Die musikbegeisterten jungen New Yorker mussten alle an Aoife vorbei, sie warteten geduldig auf ihr nicht- permanentes Tattoo, dieses Siegel, das ihnen erlaubte, die reale Welt zu verlassen und einzutauchen in die Welt hinter dem Vorhang, den rauchgeschwängerten Underground, wo es die fetten Beats gab und nur wenige dünne Lichtstrahlen. In Nächten, in denen nicht so viel los war, bestempelte sie sich selber die Arme mit Hunderten Bienen. War der Laden voll, wurden die Türen geschlossen, und sie half an der Bar, wo sie Cocktails mixte, Trinkhalme in Kaltgetränke steckte, Gläser mit Eis füllte und »Was kriegst du?« in anderer Leute Ohren brüllte, denn der Sound war mächtig dort. Und die ganze Zeit bewegten sich ihre Beine im Takt der Bässe, wand sich ihr Oberkörper zu Gitarrenriffs, pumpten ihre bienenschwirrenden Arme gegenläufig zur Melodie. Die Musik flutete ihren Schädel. Wenn sie im Club war, dachte sie an gar nichts. Sie tanzte gern zur Musik der wasserstoffblonden Frau mit den großen Augen, die mit ungerührtem Gesicht die härtesten Sachen sang. Oder dem Kerl, der sich wie ein gut geölter Roboter bewegte. Weniger angetan war sie von denen, die ins Publikum rotzten oder ihre Gitarren zertrümmerten, weil sie meinten, sie seien das ihrer flüchtigen Fangemeinde schuldig.
Sie wusste, dass nichts von alledem – weder die Musik noch ihr Apartment noch die Tatsache, dass sie überhaupt in New York war – je vergessen machen konnte, was zwischen ihr und Monica vorgefallen war. Denn diese Szene lief ewig weiter, wie in einer Endlosschleife in ihrem Kopf. Aoife glaubte nicht, dass sie jemals über die Sache hinwegkommen würde, die sich zwischen ihnen in der Küche bei Michael Francis abgespielt hatte, sondern dass sie es ewig mit sich herumschleppen würde wie einen Stachel im Fleisch, den man nicht entfernen konnte. Dabei hatte sie, Monate später, ehrlich versucht, alles ins Reine zu bringen. Und das, obwohl Monicas Worte immer noch wehtaten. Aber als sie hörte, dass Monica ausgezogen war, hatte es etwas in ihr ausgelöst, und sie nahm den Zug nach Gloucester und von da aus den Bus. Wie sich herausstellte, lebte Monica jetzt in einer Art Bauernhaus, besser der Kindervorstellung von einem Bauernhaus, einem Bauernhaus, wie man es normalerweise nur auf Postkarten fand, sogar alte Alleebäume waren vorhanden. Sie wollte eigentlich nur fragen: Was ist los? Warum hat dich Joe verlassen? Warum sehen wir uns nicht mehr? Was willst du hier? Aber dann kam dieser Typ, Peter, an die Tür und meinte, sie, Aoife, sei hier nicht mehr willkommen und dass er ihr sehr verbunden wäre, wenn sie von weiteren Besuchen absehen würde. Und dann stand Aoife auf den ausgetretenen Eingangsstufen des schwesterlichen Hauses und musste sich an der Klinke festhalten, nur um sich eines noch einmal ganz klar vor Augen zu führen, nämlich dass man ihr soeben die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Dass ihre Schwester drinnen saß und dass sie absichtlich ihren Mann oder Verlobten oder wen auch immer vorgeschickt hatte. (Aoife hatte ihn erst ein Mal gesehen, und Aoife bezweifelte, dass Monica ihn wesentlich besser kannte). Genau, vorgeschickt, um ihr mitteilen zu lassen: Hau ab, verschwinde, komm nicht wieder. Und sie fragte sich, ob Monica von innen zugesehen hatte. Hatte sie sie durch die weißen Gardinen beobachtet, wie sie tränenüberströmt auf der Eingangstreppe stand? Dann wischte sich Aoife die Tränen ab, ging über den Gartenpfad, wäre dabei fast über eine Katze gestolpert und bog um die Ecke. Auf der Straße musste sie stehen bleiben und sich an einer Mauer abstützen, weil sie so zitterte, dass sie nicht mehr laufen konnte.
Tagsüber in New York arbeitete sie in einem Geschäft für Künstlerbedarf, wo
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