Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
Zigarette.
»Hi«, sagte Aoife und widerstand der Versuchung, ihn am Ärmel wieder vor die Kamera zu zerren. »Wenn du zu Ende geraucht hast, glaubst du, du könntest wieder hinein- …«
»Das ist Evelyn Nemetov, nicht?«, schnitt er ihr das Wort ab.
Aoife hob überrascht die Brauen. »Ja.«
»Dachte ich mir doch.« Er sog an seiner Zigarette. »Hoher Besuch. Allerdings möchte ich bezweifeln, ob er weiß …« Er deutete mit dem Kopf Richtung Küche. »… ob er die leiseste Ahnung hat, wen er da vor sich hat.«
»Mag sein, aber könntest du allmählich …«
»Ich habe ihre letzte Ausstellung im MoMA gesehen. Unglaublich, diese Bilder von obdachlosen Familien. Warst du dabei?«
»Ähm, ja.« Aoife nickte, schüttelte dann aber den Kopf, weil ihr nicht klar war, worauf dieser Kerl hinauswollte. »Ja, war ich, aber könntest du jetzt bitte wieder …«
»Muss irre sein, ihr zu assistieren.«
»Es ist irre, ja. Trotzdem wäre ich dir sehr verbunden, wenn du jetzt wieder in die Küche kommen könntest.«
»Ich darf nicht auf eurem Foto zu sehen sein.«
Aoife starrte ihn an. Er war etwa so alt wie sie, vielleicht etwas älter. Er hatte die blasse Gesichtsfarbe eines Menschen, der sich zu häufig in geschlossenen Räumen aufhielt, eine schlaksige Gestalt, wilde schwarze Haare, die von der Kochmütze kaum zu bändigen waren, und Augen so dunkel, dass die Pupillen verschwanden. Er lehnte mit gekreuzten Armen an einer Mülltonne und blitzte sie finster an.
»Ich meine das Bild wird doch irgendwo veröffentlicht, in einer Zeitung, einer Zeitschrift, egal. Ich meine, ich würde ja gerne mitmachen, aber es geht nicht.«
Aoife trat von einem Fuß auf den anderen. »Das verstehe ich nicht. Warum geht es denn nicht?«
Er lachte kurz auf und warf den Zigarettenstummel auf den Boden. »Du bist aus England, oder?«
»Nein.«
»Du klingst aber so.«
»Ich bin aber keine Engländerin.«
»Was bist du dann?«
Aoife seufzte. »Ich bin beschäftigt, das bin ich. Hör mal, wir brauchen vier Leute für den Hintergrund, mit dreien funktioniert das Bild nicht. Deswegen möchte ich dich bitten, jetzt endlich …«
»Und was, wenn du …« Plötzlich stand Evelyn da. »Was ist mit einer Sonnenbrille? Wir könnten dir auch die Kochmütze tiefer ins Gesicht ziehen. Ginge das denn?«
Der Mann sah sie an. Er rieb sich die Bartstoppeln. »Aber nur, weil Sie es sind, Evelyn Nemetov«, sagte er feierlich. »Okay, ich mach es.«
Evelyn legte den Kopf zur Seite und wühlte in ihrer Hosentasche, bis sie gefunden hatte, was sie suchte, eine Nickelbrille mit kleinen blauen Gläsern. »Hier, nimm die«, sagte sie und tätschelte ihm den Arm.
»Ich verstehe immer noch nicht«, rief Aoife. »Was wird hier eigentlich gespielt?«
Evelyn blickte von dem Commis zu Aoife und wieder zurück oder auch nur auf den Luftraum dazwischen, als wäre dort etwas, das sie interessieren könnte. Sie machte ihr kritisches Gesicht. »Ich glaube, unser Freund hier ist ein Mann von festen Grundsätzen, habe ich recht?«
Er setzte die Sonnenbrille auf und lächelte kurz in Richtung Evelyn.
Evelyn wandte sich an Aoife. »Er ist ein Drückeberger – oder sagt man Wehrdienstverweigerer?«, murmelte sie. »Liest du eigentlich keine Zeitung?«
Der Fototermin zog sich über den ganzen Nachmittag hin. Evelyn machte eine Aufnahme, blickte über die Kamera und machte sofort die nächste, stand mal nach links gebeugt, mal nach rechts, endlos ging es so. Und Aoife flitzte hin und her, um Objektive zu wechseln, neue Filme einzulegen und die verschossenen Rollen zu beschriften und in die Tasche zu legen. Es war absehbar, dass sie für die Entwicklung morgen Überstunden machen musste. Doch irgendwann sagte Evelyn: »Das war’s. Ich glaube, wir haben alles im Kasten.« Arnault sprang von der Anrichte, nahm sie in seine Bärenarme und lud sie zu einem Glas Wein ein. Und für Aoife begann das Abbauen und Verstauen der Ausrüstung. Gerade als sie die Wechselobjektive in die Kameratasche steckte, trat jemand an sie heran.
»Typisch, die Jungs kriegen immer die besseren Jobs ab.«
Aoife sah zu ihm hoch. »Wenn du es sagst.«
»Klar, deswegen muss ich morgen früh auch als Erstes zehn Pfund Möhren schnippeln.«
»Du bist eben ein Glückspilz.«
»Ich hoffe, wenigstens die Kohle stimmt.«
Aoife lachte kurz auf. »Ich kriege kein Geld dafür.«
Er starrte sie ungläubig an. »Das ist jetzt ein Witz, oder?«
»Das ist die Wahrheit.«
»Das heißt, sie zahlt dir
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