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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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goldenen Stühlen.
    Aoife hatte sich in die unvermeidliche Debatte nicht eingemischt. Sie packte nur die Ausrüstung aus, baute die Stative auf und schraubte die Scheinwerfer darauf. Die Kabel am Boden sicherte sie mit Klebeband, damit niemand darüberstolperte. Sie legte Filme in die Kameras ein, platzierte die Wechselobjektive so, dass Evelyn gleich darauf zugreifen konnte, wenn sie gebraucht wurden, und stellte an der Wand einen Reflektor auf. All dies tat sie in der Küche, denn sie wusste, dass Evelyn am Ende siegen würde. Gerade, als sie ein paar Polaroids für die Lichtprobe machte, war es so weit, Arnault betrat die Szene, ohne Maßanzug, stattdessen in seiner weißen Kochjacke. Aoife wagte ihm nicht in die Augen zu sehen, sondern beschäftigte sich intensiv mit den trocknenden Polaroids, damit Evelyn schon mal einen Eindruck bekam.
    Doch wie so oft wollte Evelyn die Probeaufnahmen gar nicht sehen, sondern lief mehr oder weniger planlos durch den Raum, einmal hin zum Fenster, dann wieder weg vom Fenster, als sei die optimale Perspektive nur zu erwandern. Dann blieb sie stehen und blickte auf die Jungköche, die gerade das Gemüse schnitten, in Streifen, in Scheiben, in Würfel und Rhomben.
    Evelyn agierte immer schnell, aber man merkte es kaum, sie redete auch immer nur das Notwendigste. Sie dirigierte Arnault auf die Edelstahlanrichte. Er sollte sich auf die Anrichte setzen, ein Messer in der Linken, ein Messer in der Rechten, Kochjacke halb offen, Kochmütze etwas zurück, sodass man eine sorgfältig frisierte Stirnlocke sehen konnte. Aoife verfolgte das Ganze durch den Sucherschacht der Kamera, wo die bärenhafte Erscheinung des Sternekochs seltsam verkleinert und verzerrt erschien, beinahe wie in einem Aquarium. Aber Aoife wusste natürlich, dass er im fertigen Bild ganz anders wirken würde, überlebensgroß und alles beherrschend.
    In dem Moment stand auch schon Evelyn neben ihr, und wie immer hatte sie sie gar nicht kommen sehen. Evelyn schaute zu Arnault hinüber – oder vielmehr an ihm vorbei. Denn Arnault raunzte soeben eine der unteren Chargen an, die sich – offenbar schon vor geraumer Zeit – irgendeine Verfehlung hatte zuschulden kommen lassen. Arnault war nachtragend.
    Aoife reichte Evelyn ein Polaroid. »Ich weiß nicht, ob sie noch mehr …«
    »… noch mehr Licht?«, ergänzte Evelyn.
    »Ja, ich könnte noch weitere … ich meine, wenn Sie wollen, stelle ich noch weitere …«
    »Nein, nicht nötig, mir gefällt die Lichtstimmung so, wie sie …« Evelyn beendete den Satz nicht, sondern deutete stattdessen auf etwas, das auch Aoife nicht entgangen sein konnte. »Ich weiß aber nicht, ob wir ihn so …«
    Beide blickten jetzt auf Arnault im Profil, der immer noch schimpfte und die Blicke sämtlicher Untergebener auf sich zog.
    »Vielleicht setzen wir ihn lieber woanders hin«, schlug Aoife vor.
    »Hmm.« Beide blickten auf die freie Fläche am Fenster. Es wäre eine Möglichkeit. »Vielleicht zusammen mit den Souschefs …«
    »Den Sous … was?«
    »Den Commis, den Souschefs, was weiß ich. Wäre vielleicht nicht schlecht.«
    »Sie meinen hinter ihm?«
    »Ja. Oder zwei auf jeder …«
    »… Seite?«
    Aoife gruppierte die Küchenbrigade so um den Chef, bis die Komposition stimmte. Als sie danach durch den Sucher sah, musste sie selber lächeln. Aus diesem Winkel sah die Küchenmannschaft klein aus, wie Zwerge hinter ihrem Meister.
    Diesmal verlangte Evelyns ausgestreckte Hand sogar nach dem Polaroid. Sie betrachtete es, schob sich die Haare aus dem Gesicht und trat hinter die Kamera. Wie immer holte Aoife an dieser Stelle tief Luft und wartete auf das mehrteilige, beruhigende Klicken des Verschlussmechanismus: Klack-schnurr-klack.
    Doch diesmal nur Stille. Evelyn richtete sich auf und verzog das Gesicht. »Oh«, sagte sie.
    Aoife kam ihr zu Hilfe. »Was ist?«, fragte sie und kon trollierte über die Kamera hinweg die Lichtverhältnisse. »Stimmt etwas nicht?« Aber erst, als sie erneut zu Arnault hinübersah, erkannte sie, was hier nicht stimmte. Arnault war zwar immer noch da, hockte bedrohlich wie ein Weißrücken-Gorilla auf der Anrichte, umgeben von seinen zwergenhaften Lakaien, auch die Messer blitzten noch effektvoll im schrägen Sonnenlicht, doch etwas fehlte, ein Commis war nicht mehr da. Er war glatt verschwunden. Statt zu viert war die Gruppe nur noch zu dritt.
    Aoife entdeckte ihn schließlich bei den Mülltonnen am Hintereingang. Er rauchte in aller Ruhe eine

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