Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
könnte. Sie belegte einen Töpferkurs und warf ihn nach kurzer Zeit wieder hin. Sie half in der Gärtnerei eines Bekannten aus (der Bärtige, den Michael Francis bei seinem Besuch gesehen hatte). Sie arbeitete in der Teestube des Britischen Museums. Sie schlief mit ein paar Männern, dann noch mit ein paar mehr Männern, dann mit Frauen. Sie experimentierte mit Gras, Acid, LSD , entschied aber dann, dass es, wie der Sex mit Frauen, zwar schön, aber nichts für sie sei. Sie wusste, wonach sie suchte: nach etwas, das ihr Leben derart entflammte oder bewegte oder veränderte, dass es von selbst Fahrt aufnahm. Verge bens, bisher war nichts dergleichen geschehen. Die Töpferei war schön gewesen, ebenso wie die Teestube am Morgen, wenn nur Uni-Menschen da waren und noch nicht so viel Volk. Dann konnte sie ihren abstrusen Gedanken nachhängen und die Scones von gestern aufessen. Weniger schön war die Gärtnerei (lediglich Hausarbeit unter freiem Himmel, wie sie meinte), weniger schön waren auch Acid und der Schimmel in dem besetzten Haus. Sie fand Arbeit als Bühnenbildnerin bei der BBC und dachte eine Weile, das wäre es. Die Arbeit fiel ihr leicht, sie war gut darin, denn sie hatte ein fotografisches Gedächtnis und brachte die Liebe zum Detail mit, die man dafür brauchte. Sie entwarf ein vollständiges Set in ihrem Kopf und baute es im Studio nach. Aber nach ihrem fünften Regency-Salon schwand ihre Begeisterung ebenso wie ihre Aufmerksamkeit.
Beim sechsten Regency-Salon kam der Bruch, so jedenfalls sieht es Aoife. Der Blitzschlag, der sie und Monica unheilbar spaltete. Es war auch die Zeit, da Monica im Krankenhaus anfing, die Zeit, in der Monica von Joe verlassen wurde, die Zeit, in der Monica von Peter aufgelesen wurde. Dieser Peter hatte Aoife dann so schnell die Tür vor der Nase zugeknallt, dass sie zurückgetaumelt war. Was für eine Erniedrigung, was für ein Schock! Der Mann war doch fast ein Fremder. Und zu wissen, dass sich Monica hinter ihm im Haus versteckt hielt, aber alles mitbekam, das tat weh. Als sie damals über den Gartenweg zur Straße ging, hätte sie am liebsten wie ein Wolf losgeheult: Monica! Monica! Ganz wie früher, als sie klein war und Monica auf sie aufpasste, weil ihre Mutter nicht da war. Wenn dann auch Monica auf einmal verschwunden war, weil sie, Aoife, sie plötzlich nicht mehr sehen konnte, stellte sie sich in den Flur und brüllte in Panik ihren Namen. Hinter dem Riffelglas der Haustür bewegten sich unentwegt Schatten. Was, wenn ein Schatten plötzlich gesichtslos und riesig vor der Tür stand? Verstecke gab es nicht mehr viele. Den Platz unter dem Sofa mochte sie nicht, da hingen Teile der Füllung herunter wie tote Mäuse. Und die Nische in der Wand, wo der alte Boiler gewesen war, erschien ihr wie ein fürchterlicher Rachen, hinter dem sich die chaotischen Eingeweide des Hauses verbargen. Also lief sie in den Flur, aber nicht weiter, vor allem nicht nach oben, denn da oben war sie erst recht allein. Die Lichtschalter waren so hoch, dass man nicht drankam, und die Vorhänge noch nicht zum Schutz vor der hereinbrechenden Dunkelheit zugezogen. Und deshalb schrie sie unausgesetzt nach ihrer Schwester. Und Monica kam, immer. Kam die Treppe hinuntergerannt, um sie in die Arme zu schließen und ihr Gesicht gegen die kuschelweiche Wolle ihres »Twinsets« zu drücken, wie sie es nannte. Ich war doch gar nicht weg, sagte sie dann, ich war doch immer da. Und dann gab es Toast mit Zucker und Zimt, damit es wieder gut war.
Auf dem Weg durch den Vorgarten des Farmhauses in Gloucestershire wäre sie beinahe über eine schwarze Katze gestolpert, und da hätte sie am liebsten wieder so wie früher nach Monica gerufen. Sie wünschte sich, dass sie abermals zu ihr gerannt kam, um ihr zu sagen: Ich war doch gar nicht weg. Doch Aoife hielt den Mund und machte stattdessen einen Bogen um die Katze, obwohl diese mit ausgestrecktem Schwanz nur neugierig auf sie zukam, und war bald darauf auf der laubbedeckten Straße.
In Evelyns Dunkelkammer schaltet Aoife den Vergrößerer ein, arrangiert in seinem Lichtkegel die Negativstreifen so, wie Evelyn sie haben will: Stationen einer Studiosession, Momentaufnahmen, die Biene unter dem Deckglas.
Sie ist beinahe fertig, als das Telefon schrillt. Sie rennt hin und hebt ab. »Atelier Nemetov, Aoife am Apparat.«
»Hey.«
Sie lässt sich auf den Boden sinken und nimmt den Apparat in den Schoß. »Da bist du ja«, sagt sie.
»Ja, heute Morgen angekommen.
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