Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag

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versuchen?«, sagt sie hilflos in das Rauschen. Gabe umarmt sie jetzt von hinten und hängt sich an sie. »Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?«
    Erstaunlicherweise hört sie im nächsten Moment die Stimme ihres Bruders. Die Stimme ihres Bruders hier in ihrer Wohnung in New York, wo die Klamotten unordentlich auf dem Boden liegen, wo es nichts zu essen gibt, wo sie ganz alleine lebt, wo die ganze Nacht Streifenwagen am Straßenrand stehen, wo nie jemand hinkommt außer ihrem Freund, der auf der Flucht vor dem Gesetz ist. Ausgerechnet hier erwischt sie die Stimme ihres Bruders, was Aoife zunächst nicht fassen kann, was sie aber so berührt, dass ihr die Tränen kommen und sie ihn kaum versteht.
    »Michael Francis?«, sagt sie.
    »Du musst nach Hause kommen«, sagt ihr Bruder.

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    FREITAG
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    16. Juli 1976
    5.2. Wasserdiebstahl ist ein Vergehen, das mit einer Geldstrafe zwischen £ 500 und £ 1.500 geahndet wird.
    5.3. Als Wasserdiebstahl gilt die unbefugte Entnahme von Wasser aus öffentlichen oder privaten Versorgungsstellen jeder Art.
    Englisches Dürregesetz von 1976
    Mit diesem Gesetz wollte der Gesetzgeber der extremen Trockenheit und dem akuten Wassermangel im Vereinigten Königreich begegnen.

Zu Hause
    F rühmorgens in der Gillerton Road. Der lehmbraune, nie ganz dunkle Großstadthimmel weicht dem ersten Licht. Die Reihenhäuser liegen noch im Schatten, der Himmel hat bald die Farbe von abgestandener Milch, und nur die Bäume an der Straße halten in ihren Ästen Reste von Dunkelheit fest. Gestern und Heute befinden sich noch in der Schwebe und warten auf die erste falsche Bewegung.
    Weit weg, in der Grafschaft Dorset, wird heute ein Torf brand ausbrechen. Die seit Tagen schwelende Erde wird endlich in Flammen aufgehen. Unweit von St Ives wird eine Feuerwalze mit vierzig Meilen pro Stunde durch ein Waldgebiet rasen und alles auf ihrem Weg vernichten. Aber im Augenblick weiß das noch niemand. Die Thermometer hängen an Fensterrahmen, an Garagenwänden und von den Dächern der Gartenschuppen – doch sie sammeln bereits die ersten Grade. Die Feuerwehrleute liegen noch unter bloßen Laken und schlafen.
    Die ungewöhnliche Wetterlage bringt ungewöhnliches Verhalten hervor. Wie ein Bunsenbrenner unter einem Schmelztiegel Elektronen in Bewegung versetzt, die in der Folge alte Verbindungen beenden und neue eingehen, so wirkt die extreme Wärme auch auf Menschen. Sie bricht starre Strukturen auf und zerstört die alte Hülle. Eigentlich verhalten sich die Menschen nicht weiter ungewöhnlich. Sie zeigen sich auch nicht von ihrer falschen Seite, sie lassen nur heraus, wie sie wirklich sind.
    Eine Pfadfinderführerin, die weiter oben an der Gillerton Road wohnt, trifft sich nach Ladenschluss mit dem Kioskbesitzer. Die fleißige Gymnasiastin von nebenan geht plötzlich nicht mehr zur Schule, sondern verbringt ihre Tage im Hyde Park, wo sie im algenverseuchten Wasser endlos Tretboot fährt und Streichhölzer abbrennt. Der Mann von gegenüber kauft sich einen italienischen Motorroller. Ihm gefällt, wie man sich damit durch den dichtesten Verkehr mogeln kann. Ihm gefällt das durchdringende Singen des Motors, wenn er an den alten Rumpelbussen vorbeizieht. Ihm gefällt, wie heiße Luft und Abgase über Haut und Haare streichen. Ihm gefallen das Zweitaktgeknatter und das blitzende Chrom in der Sonne. Was weiter passiert ist und was die meisten Leute in der Straße inzwischen wissen: Mr Riordan von Nummer 14 ist verschwunden, von jetzt auf gleich war er weg. Die Familie hat keine Ahnung, wohin er gegangen ist und wann er zurückkommt. Falls er zurückkommt.
    Hinter einem geparkten Lieferwagen flitzt ein Fuchs aus der Deckung, bleibt mitten auf der Gillerton Road stehen und springt mit wehender Rute über eine Gartenmauer. Eine frühe U-Bahn donnert unter dem Gehsteig, die Erschütterung ist als leichtes Beben noch in den Häusern zu spüren. Die grollende Vibration rollt durch die ganze Straße, aber die Häuser sind das gewohnt und seine Bewohner auch. Gläser klingeln im Küchenschrank, die Reiseuhr auf dem Kaminsims von Hausnummer 4 gerät kurzfristig aus dem Takt, ein Ohrring auf dem Nachtkästchen von quer gegenüber rollt auf den Boden. Etwas weiter dreht sich eine Frau im Bett noch einmal um, ein Baby wacht auf und sieht, es liegt in seinem Gitterbett, und fragt sich: Was soll das, wo sind die anderen? Dann schreit es, damit jemand kommt. Aber jetzt gleich, wenn ich