Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
Haus mit seinen schiefen Dielen und dieser verdammten Stilechtheit des Ensembles. Ganz zu schweigen von dem antiken Herd, den klapprigen Türen und dem hinterlassenen Ramsch jener Märtyrerin, der ja so viel Leid angetan wurde. Sie hasst die Wochenenden als Stiefmutter, hasst ihr allwöchentliches Versagen als solches, hasst die Art, wie sich die Kinder an ihren Vater hängen – und sie ausschließen. Zum Beispiel, wenn sie zu dritt auf dem Sofa sitzen und fernsehen, während sie mit dem Sessel vorliebnehmen und so tun muss, als mache ihr das alles nichts aus. Sie hasst den Garten mit seinen Nacktschnecken und Fliegen und Wespen, den vertrockneten Blumen und den Äpfeln, die viel zu früh vom Baum fallen. Sie hasst die Ranken, die nach ihren Schenkeln greifen, hasst die tiefe Dunkelheit bei Nacht, diese entsetzliche Stille, die nur vom Gekläff und Geraschel und Geheul unsichtbarer Tiere zerrissen wird. Sie hasst das grüne Blätterdach über dem Haus, das alles niederdrückt und nie Ruhe gibt. Sie hasst es, wenn man nirgendwo hingehen kann. Es gibt keine Cafés oder Geschäfte, die ein bisschen Abwechslung bieten, wenn man gerade nichts zu tun hat. Und sie hasst es, dass der Bus nur zweimal am Tag kommt. Sie kann eigentlich immer nur denselben, knapp halbstündigen Spaziergang durch die Felder machen, aber nach einem bestimmten Zaunübertritt ist sie bereits in der Nähe von Jennys Dorf und könnte ihr jederzeit begegnen. Über haupt mögen sie die Leute dort nicht. Keiner lächelt, die Frau auf dem Postamt nimmt wortlos ihr Geld und knallt ihr das Wechselgeld hin. Alle lassen sie spüren, was sie für sie ist, ein schlechter Mensch, ein Eindringling, die Böse, die anderen die Männer ausspannt. Peter meint zwar, sie bilde sich das alles nur ein, es sei überhaupt nicht so, doch sie weiß es besser. Beim letzten Mal hätte sie es beinahe angesprochen: Ich habe ihr nicht den Mann ausgespannt, wie sollte das gehen? Sie waren ja nicht einmal verheiratet. Aber dann hat sie es doch gelassen. Wenn sie heute einmal rauswill, dann nimmt sie den Bus nach Chipping Norton, wo es zumindest eine kleine Einkaufsstraße gibt und eine Teestube, wo man sie entweder nicht kennt oder zumindest keinen Anstoß an ihr nimmt.
Kurz und gut, sie vermisst London. Die Stadt fehlt ihr so, wie ihr Joe fehlt. Sie leidet unter einem Heimweh, das sie beinahe sprachlos macht, denn bis jetzt hat sie noch nie woanders gelebt. Dass Leute auch woanders lebten, überhaupt woanders leben wollten, konnte sie sich gar nicht vorstellen. An manchen Tagen kann sie den Verlust kaum ertragen, dann läuft sie mit verschränkten Armen auf dem oberen Treppenabsatz hin und her und stellt sich vor, wie es wäre, jetzt die Rolltreppe zur Piccadilly Line zu nehmen, irgendwann am Abend, es hat geregnet, und jeder trägt einen Schirm. Ihre alte Wohnung lag nur zehn Minuten zu Fuß vom Haus ihrer Mutter entfernt, und von Primrose Hill aus konnte man die ganze Stadt überblicken. Sie hat festgestellt: Heimweh tut wirklich weh, es macht einen krank vor Sehnsucht. Trotzdem ist sie jeden Abend wieder bereit für »ihren Mann«, lässt ihren Kummer zurück wie eine entstellende Krankheit, die man besser keinem zeigt. Also Haare machen, Make-up auflegen, das Essen wartet auf dem Herd. Denn diese Sache darf nicht schiefgehen, es gibt kein Zurück mehr. Vor allem darf niemand wissen, dass sie abermals gescheitert ist. Monica, die gescheiterte Schwesternschülerin, die Kinderlose, die von Joe Verlassene, das alles will sie nicht mehr sein. Also wird sie weitermachen in diesem Haus mit dem baufälligen Dach, den Fußleisten, hinter denen es nächtens kratzt und krabbelt. Lieber erträgt sie das morsche Mobiliar und die feindselige Nachbarschaft, als noch einmal ihren Mund aufzumachen.
Gretta sitzt vor ihrer Teetasse am Tisch und sagt mit kaum hörbarer Stimme, dass sie auch nicht wisse, wohin er gegangen sein könnte, da könne sie sich das Hirn zermartern, wie sie wolle. Warum macht er so was? Was ist das für ein Mensch, der eines schönen Morgens wortlos seine Frau sitzen lässt? Sie hat die Nachbarn befragt, aber keiner hat ihn gesehen, kein einziger, und das ist doch mysteriös, oder?
Der Anblick ihrer Mutter geht fast über Aoifes Kraft: Wie klein und verhärmt sie dasitzt, so gedemütigt. Und das bei einer Frau, die selbst um Kleinigkeiten immer eine Riesenshow gemacht hat. Das Melodram war wirklich ihre Spezialität, etwa an dem Tag, als Aoife aus der Schule kam, und
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