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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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wollte sich mit ihr doch nur ein wenig auf dem Sofa ausruhen. Was er nicht hören wollte, war, dass es jetzt nicht ging, leider, weil Gäste kamen, ihre Gäste, die sich dann auf seinem Sofa breitmachten, um sich über den Ersten Weltkrieg auszutauschen! Das war gerade so, als säßen eines Morgens seine ekelhaftesten Schüler mit am Frühstückstisch und teilten ihm mit, die Schule sei umgezogen, sie sei bis auf Weiteres in seiner Küche untergebracht.
    »Bitte, mach nur so weiter«, schrie Claire zurück, worüber Michael Francis besonders erschrocken war, weil Claire eigentlich nie laut wurde. So etwas war in ihrer DNS nicht vorgesehen. »Beschimpf mich ruhig mit deinen phallozentrischen … Ergüssen.«
    Darüber konnte er natürlich nur lachen, und zwar so richtig von Herzen. »Ja, quatsch den Weibern nur diesen angelesenen Blödsinn nach. Sag mal, was ist eigentlich mit dir los? Warum belegst du solche Kurse? Du hast doch viel mehr drauf, du bist gebildet, du bist …«
    »Höchstens halb. Höchstens halbgebildet.«
    »Was soll das denn wieder heißen?«
    »Das weißt du genau.«
    »Nein, das weiß ich nicht. Erklär’s mir.«
    »Ich habe keinen Abschluss«, sagte sie mit Tränen in den Augen, die sie wütend wegwischte. »Und warum habe ich keinen Abschluss? Wessen Schuld ist das?«
    Er wollte schon sagen unsere, wir beide sind schuld. Weil daran immer zwei beteiligt sind. Doch da sah er sich plötzlich mit den Augen ihrer neuen Freunde, die jeden Moment eintreffen konnten. Er war Claires ekelhafter Ehemann. Man brauchte nur einmal zu hören, wie er herumbrüllte, nur weil ihre Freunde kommen. Nein, in solche Diskussionen wollte er sich nicht verwickeln lassen, wenn im Hintergrund schon alles für die gemütliche Runde bereitstand.
    »Claire«, sagte er stattdessen und wollte ihre Hand nehmen, um sie wachzurütteln, damit sie endlich begriff, in welche Richtung die Sache lief. »Entschuldige, ich wollte dich nicht anschreien. Es ist nur, ich habe einen fürchterlichen Tag hinter mir – und dann dieses Essen hier. Hast du gar nicht an die Kinder gedacht? Sie können bei dem Lärm doch nicht schlafen.«
    Beim Wort »Kinder« hob sie den Kopf und sah ihn an. Claire liebte ihre Kinder, er selbst war immer wieder erstaunt, wie sehr. Er hielt es sogar für übertrieben, wenn sie um drei Uhr morgens aufstand, nur um Vita etwas zu trinken zu bringen oder Hughie ihr ganzes Mittagessen zu überlassen, nur weil er es gerade so wollte. Die Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft, mit der sie dieses Krippenspiel inszenierte! Die engelsgleiche Geduld, mit der sie Vitas Unarten ertrug wie etwa die Weigerung, sich die Haare bürsten zu lassen oder die bereitgelegten Socken zu tragen (»Ich will aber die anderen!«). Und bei alledem noch willens und in der Lage zu sein, Vita vorzulesen, notfalls stundenlang. All das, musste er zugeben, war schon eine Leistung. Und dann fragte er sich, wie er ihr dies durch eine einfache Berührung vermitteln konnte.
    Aber sie sagte nur: »Mach dir um die Kinder keine Gedanken. Wenn sie wach werden, sind sie eben wach. Es tut ihnen auch gut, wenn sie mal neue Leute kennenlernen. Und es kann bestimmt nicht schaden, wenn sie eine Mutter erleben, die ein erfülltes und abwechslungsreiches Leben führt. Sie werden hier ohnehin dauernd in Watte gepackt, meinst du nicht?«
    In Watte gepackt? Was soll das heißen? Ich will doch nur, dass sie behütet aufwachsen, nicht mehr und nicht weniger. Doch wenn er ehrlich war, war Watte noch nicht genug. Wenn es nach ihm ging, hätten sie nie aus dem Haus gehen dürfen, hätte er sie auch am liebsten aus der Schule genommen, nur damit niemand ihnen etwas tun konnte. Das Wort Watte beschrieb nur ansatzweise, was er sich für seine Kinder wünschte.
    »Außerdem stimmt es nicht«, sagte sie und entzog ihm ihre Hand. »Die Kinder kommen immer an erster Stelle.«
    Und wieder befand sich plötzlich der Geist von Gina Mayhew im Raum. Als hätte auch Claire ihre Gegenwart gespürt, legte sie den Löffel weg und rieb sich den Nacken. Und Gina tat sogar noch mehr, sie schwebte weiter ins Esszimmer, nahm offiziell Platz am gedeckten Tisch, schlug das Bein über und sah ihn an mit jenem verschleierten Blick, der ihm schon am ersten Tag im Lehrerzimmer aufgefallen war. Als sei sie mit ihren Gedanken an einem Ort, den sowieso nie jemand zu Gesicht bekam, geschweige denn begreifen würde. Gina, Trägerin eines Geheimnisses, das für immer im Dunkeln lag.
    Er wollte seiner

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