Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
zusammen, das ist ja peinlich vor all den Leuten. Außerdem mussten sie früher oder später in die Kirche. Er konnte trotzdem nicht aufhören zu flennen, und Gretta spürte, dass sein Bild einen Riss bekommen hatte und dass sie in diesen Riss starrte, der tief und dunkel war und in dem man sich selber leicht verlieren konnte. Monica wartete bereits mit ihrem Brautstrauß im Flur und drängte zum Aufbruch. Und Aoife in ihrem kneifenden Rock, die wissen wollte: Was hat Daddy denn?
Am Gartentor sagte Michael Francis, dass er noch einmal losmüsse, eine Zeitung kaufen. Tatsächlich wollte er nur einen Moment allein sein, ohne die anderen.
Aoife und Monica gingen dann zusammen ins Haus, vermieden es aber auch weiterhin, sich in irgendeiner Weise anzuschauen. Er sah zu, dass er wegkam, wusste kaum, wohin er ging, spürte lediglich eine große Erleichterung, dem Irrsinn im Hause Nummer 14 Gillerton Road zu entrinnen.
Im Zeitungsladen wandert sein Blick vom Zeitungsregal zu den Schokoriegeln und Süßigkeiten. Davon könnte er Hughie und Vita etwas mitbringen, denn heute Abend schläft er wieder zu Hause. Noch zögert er vor den Gläsern mit knallbunten Süßigkeiten, denn es gilt Claires Gesetz: Naschkram nur am Samstag. Wagt er es, sich ihr entgegenzustellen?
Scheißegal, denkt er und kauft eine Tüte Brausebonbons für Hughie und Vitas geliebte Pear-Drops. Bär-Drops nannte sie sie immer, als sie klein war, und bei der Erinnerung daran muss er lächeln, während seine Hand die Tasche nach Kleingeld durchsucht.
Draußen ist er unentschlossen, wohin er jetzt noch gehen könnte. Er hat die Zeitung unterm Arm, die Taschen voller Süßigkeiten für die Kinder. Er genehmigt sich einen Bär- Drop, ein scharfkantiges Etwas, an dem sich die Zunge reiben kann.
Von der gegenüberliegenden Bushaltestelle kommt man nach Stoke Newington. Er könnte dort warten, nach Hause fahren, Claire sehen. Das geht aber erstens nicht, weil er in die Gillerton Road zurückmuss. Und zweitens, weil Claire seinen Anblick nicht mehr erträgt.
Da ist sie wieder, diese Endzeitstimmung, das Gefühl einer herannahenden Katastrophe. Und wieder, beinahe wie zufällig, huscht das Bild von Gina Mayhew an ihm vorbei.
Das ist in etwa so wie mit Joe vorhin. Joe hat es nämlich getan. Eine neue Frau, ein Baby, ein völlig anderes Leben. Fast ein Aberwitz, ihn so zu sehen, wenn man ihn so lange als einen der ihren betrachtet hat. Seit Jugendzeiten kam er zu ihnen ins Haus, wenn er und Monica ausgehen wollten. Michael Francis machte es stolz, wenn er Joe, den Älteren, auf der Straße sah, mit seiner Lunchbox unterm Arm, Zigarette im Mundwinkel, denn Joe ging nicht mehr zur Schule, sondern war richtiger Lehrling. Und besonders stolz machte es ihn, wenn Joe ihm zunickte und sagte: Na, alles klar, Michael Francis? Joe redete ganz anders, als es Michael Francis von zu Hause aus gewohnt war, eben wie ein echter Cockney, mit lauter verschluckten Silben und diesem proletarischen, männlichen Tonfall. Noch besser, wenn dann Jungs aus seiner Klasse in der Nähe waren und mithören konnten. Jemanden wie Joe zu kennen war unbezahlbar, wenn man (wie Michael Francis) als Streber galt und dauernd eins auf die Fresse bekam, nur weil man gute Noten hatte. Dann heiratete Joe seine Schwester, und Michael Francis durfte auf der Hochzeit zum ersten Mal Alkohol trinken. Aoife war eine der Brautjungfern, aber irgendwie ungeeignet für den Job, denn sie führte während der ganzen Zeremonie Selbstgespräche und ver streute die Blumen überall, nur nicht vor der Braut. Joe war jeden Sonntag bei ihnen zum Essen und auch zu Weihnachten immer da. Er spielte Happy-Families-Quartett mit Aoife und provozierte sie, weil er nie »bitte« sagte, ließ sie aber immer gewinnen. Er half Gretta beim Erbsenpulen, Erbsen aus ihrem Garten. Er saß am Hintereingang, das Sieb zwischen den Knien und sagte Sachen wie: Lassen Sie ruhig noch ein paar Schoten rüberwachsen, Mrs R. Eigentlich ein Unding, dass er komplett aus ihrem Leben verschwunden war. Und noch schwerer zu glauben, dass er jetzt eine andere Frau hatte, eine andere Familie.
War es möglich, denkt er, als er wieder Richtung Gillerton Road geht, dass ihm und Claire etwas Ähnliches bevorstand? Dass sie nicht mehr zusammen sein sollten, sondern erst getrennt, dann geschieden? Dass er gehen müsste – und wenn ja, wohin? Irgendeine kleine Wohnung, und die Kinder sieht er nur am Wochenende. Keiner da, wenn er abends nach Hause kommt, und
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