Der Sommer, als ich schön wurde
Schultern, so als ließe ihn meine Frage völlig kalt, doch seine Schultern waren steif, angespannt. Abfällig sagte er: »Wie wär’s wenn du jetzt ein bisschen nett zu mir wärst? So wie heute Nacht zu Jere?«
Ich machte den Mund auf, um mich zu verteidigen, um zu sagen, dass gar nichts passiert sei, dass wir uns einfach in den Schlaf geweint hatten, mehr nicht. Aber ich hatte keine Lust. Conrad hatte es nicht verdient, irgendetwas darüber zu wissen. »Du bist der egoistischste Mensch, der mir je begegnet ist«, sagte ich langsam und mit voller Absicht. Jedes meiner Worte flog wie ein Pfeil durch die Luft zwischen uns. Nie zuvor hatte ich so sehr jemanden verletzen wollen wie in diesem Moment. »Und ich hab mir eingebildet, dass ich dich liebe – nicht zu fassen.«
Sein Gesicht wurde weiß. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dann machte er dasselbe noch einmal. Solange ich Conrad kannte, hatte ich ihn noch nie sprachlos erlebt.
Ich ging in mein Zimmer. Zum ersten Mal hatte ich bei Conrad das letzte Wort behalten. Ich hatte es geschafft. Ich hatte ihn endlich loslassen können. Es fühlte sich an wie Freiheit, aber wie Freiheit, für die ich einen schrecklichen, blutigen Preis gezahlt hatte. Ein gutes Gefühl war es nicht. Hatte ich das Recht, ihm solche Dinge zu sagen, jetzt, wo er ohnehin so litt? Hatte ich überhaupt irgendwelche Rechte ihm gegenüber? Er litt, und ich auch.
Ich legte mich wieder ins Bett, zog mir die Decke über den Kopf und weinte weiter, dabei hatte ich gedacht, keine Tränen mehr zu haben. Alles lief verkehrt.
Wie war das nur möglich – Susannah war krank, und meine Gedanken hatten sich den ganzen Sommer über um nichts anderes gedreht als um Jungs, Schwimmen und Braunwerden. Wie konnte das sein? Ein Leben ohne Susannah – unmöglich. Undenkbar. Schlicht nicht vorstellbar. Ich konnte mir nicht ausmalen, wie das für Jeremiah und Conrad sein würde, schließlich war sie ihre Mutter.
Ich stand lange nicht auf. Erst schlief ich bis elf, und dann blieb ich einfach liegen. Ich fürchtete mich davor, nach unten zu gehen und Susannah zu begegnen. Sie würde mir ansehen, dass ich Bescheid wusste.
Gegen Mittag kam meine Mutter geschäftig zu mir ins Zimmer, sie klopfte nicht einmal an. »Jetzt aber raus aus den Federn!«, sagte sie, während sie den Blick über mein Chaos schweifen ließ. Sie hob ein Paar Shorts und ein T-Shirt vom Boden auf und strich es an der Brust glatt.
»Ich kann noch nicht aufstehen«, sagte ich und drehte mich auf die andere Seite. Ich war wütend auf sie, ich fühlte mich von ihr hintergangen. Sie hätte es mir sagen müssen. Mich warnen müssen. Mein ganzes Leben lang war ich davon ausgegangen, dass meine Mutter mich nie anlügen würde. Und jetzt hatte sie es doch getan. Jedes Mal, wenn sie angeblich einkaufen waren oder Museen besuchten oder Ausflüge machten, hatte das gar nicht gestimmt. Stattdessen waren sie in Krankenhäusern oder bei Ärzten gewesen. Jetzt begriff ich das. Ich wünschte nur, ich hätte schon früher begriffen.
Meine Mutter kam zu mir herüber und setzte sich auf die Bettkante. Sie kratzte mir den Rücken, und es war ein gutes Gefühl, ihre Nägel auf meiner Haut zu spüren. »Du musst aufstehen, Belly«, sagte sie leise. »Du bist noch am Leben, und Susannah genauso. Du musst stark sein, ihretwegen. Sie braucht dich.«
Das leuchtete mir ein. Wenn Susannah mich brauchte, dann gab es wenigstens etwas für mich zu tun. »Ist gut«, sagte ich. Ich drehte mich um und sah ihr ins Gesicht. »Ich kapier nur nicht, wie Mr. Fisher sie so allein lassen kann, gerade jetzt, wo sie ihn mehr denn je braucht.«
Meine Mutter sah weg, schaute durchs Fenster in die Ferne und dann wieder zu mir herunter. »Beck will es nicht anders. Und Adam ist nun mal, wie er ist.« Sie legte mir liebevoll eine Hand auf die Wange. »Das geht uns auch nichts an.«
Susannah stand in der Küche und machte Blaubeermuffins. Sie lehnte sich an den Tresen und mixte Teig in einer großen Metallschüssel. Sie trug wieder eins ihrer Hauskleider aus Baumwolle, und mir wurde klar, dass sie den ganzen Sommer über immer nur solche Kleider getragen hatte, die so schön locker fielen. Sie verdeckten, wie dünn ihre Arme geworden waren, wie ihre Schulterblätter hervorstanden.
Sie hatte mich noch nicht bemerkt, und ich war versucht, schnell noch wegzulaufen. Aber ich tat es nicht. Ich konnte es nicht.
»Guten Morgen, Susannah«, sagte ich, und meine Stimme klang hoch und
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