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Der Sommer, als ich schön wurde

Der Sommer, als ich schön wurde

Titel: Der Sommer, als ich schön wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Han
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falsch, gar nicht wie meine eigene.
    Sie sah auf und lächelte. »Es ist schon nach zwölf. Ich fürchte, als Morgen würde das kaum noch durchgehen.«
    »Dann eben guten Tag.« Ich blieb unsicher bei der Tür stehen.
    »Bist du auch böse auf mich?«, fragte sie sanft. Ihr Blick war allerdings besorgt.
    »Niemals könnte ich böse auf dich sein.« Ich ging zu ihr hin und legte von hinten die Arme um ihre Taille. Ich legte meinen Kopf in die Nische zwischen ihrem Hals und ihrer Schulter. Susannah duftete nach Blumen.
    Im selben leichten Tonfall wie zuvor sagte sie: »Du passt auf ihn auf, ja?«
    »Auf wen?«
    Ich spürte, wie ihr Mund sich zu einem Lächeln verzog. »Du weißt, wen ich meine.«
    »Ja«, wisperte ich. Noch immer hielt ich Susannah fest.
    »Gut«, sagte sie und seufzte. »Er braucht dich.«
    Ich musste nicht fragen, wen sie mit »er« meinte. Ich wusste es auch so.
    »Susannah?«
    »Hmm?«
    »Versprich mir etwas.«
    »Was immer du willst.«
    »Versprich mir, dass du nicht weggehst.«
    »Versprochen«, sagte sie, ohne zu zögern.
    Ich stieß einen langen Seufzer aus, dann ließ ich sie los. »Kann ich dir mit den Muffins helfen?«
    »Ja, gern.«
    Ich knetete Streusel aus braunem Zucker, Butter und Haferflocken. Da wir nicht abwarten konnten, holten wir die Muffins zu früh aus dem Ofen und machten uns darüber her, solange sie dampfend heiß und innen noch klebrig waren. Ich aß drei. Wie wir so da saßen und ich Susannah dabei zusah, wie sie ihren Muffin mit Butter bestrich, schien es mir, als würde sie immer da sein.
    Irgendwie kamen wir aufs Tanzen im Allgemeinen und auf Abschlussbälle im Besonderen zu sprechen. Susannah liebte all diese Mädchenthemen, und sie sagte oft, ich sei der einzige Mensch, mit dem sie über solche Sachen reden könnte. Mit meiner Mutter ginge das schon mal gar nicht, und mit Conrad und Jeremiah natürlich auch nicht. Nur mit mir, ihrer Leihtochter.
    »Vergiss bloß nicht, mir Fotos zu schicken von deinem ersten richtigen Ball«, sagte sie.
    Bis dahin war ich noch zu keinem der großen Bälle an unserer Schule gewesen. Niemand hatte mich gefragt, und ich hatte auch keine Lust dazu gehabt. Der Einzige, mit dem ich hingehen würde, ging nicht auf meine Schule. »Ganz bestimmt«, antwortete ich. »Und ich zieh das Kleid an, das du mir letzten Sommer geschenkt hast.«
    »Was für ein Kleid?«
    »Das aus dem Einkaufszentrum, das pflaumenblaue, weswegen du damals noch mit Mum Krach gekriegt hast. Du hast es mir doch heimlich in den Koffer gepackt, erinnerst du dich?«
    Sie sah mich verwirrt an. »Ich hab dir das Kleid nicht geschenkt. Laurel hätte einen Anfall bekommen.« Dann hellte sich ihre Miene auf, und sie lächelte. »Deine Mutter muss in den Laden zurückgegangen sein und es gekauft haben.«
    »Meine Mutter?« Meine Mutter doch nicht!
    »Das sieht ihr ähnlich. Typisch Laurel!«
    »Aber sie hat mit keinem Wort …« Meine Stimme verlor sich. Keinen Moment lang war ich auf die Idee gekommen, dass das Kleid von meiner Mutter gewesen sein könnte. »Unmöglich. So was würde sie nie tun.«
    Susannah griff über den Tisch nach meiner Hand. »Du hast so unglaubliches Glück mit deiner Mutter. Vergiss das nicht.«
    Der Himmel war grau und die Luft frisch. Bald würde es regnen.
    Es war so diesig, dass ich ihn nicht gleich fand. Schließlich entdeckte ich ihn, etwa einen Kilometer weiter unten. Am Ende war es irgendwie doch jedes Mal der Strand. Er saß mit angezogenen Knien da und sah mich nicht an, als ich mich zu ihm setzte, sondern starrte nur aufs Meer hinaus.
    Seine Augen waren düstere Abgründe, wie leere Augenhöhlen. Nichts sonst. Von dem Jungen, den ich so gut zu kennen glaubte, war nichts mehr da. Völlig verloren wirkte er, wie er so dasaß. Ich empfand diesen alten Drang, diese Anziehungskraft, diesen Wunsch, mich in ihm einzunisten. So würde ich immer wissen, wo er zu finden wäre, wo auch immer in der Welt er war, und würde ihn auch finden. Ich würde ihn finden und nach Hause holen. Auf ihn aufpassen, so wie Susannah es sich wünschte.
    Ich sprach als Erste. »Es tut mir leid. Wirklich, es tut mir so leid. Ich wünschte, ich hätte davon gewusst …«
    »Hör auf zu reden, bitte«, sagte er.
    »Tut mir leid«, flüsterte ich und richtete mich langsam auf. Immer sagte ich das Falsche.
    »Geh nicht weg«, sagte Conrad. Er sackte in sich zusammen, seine Gesichtszüge fielen auseinander. Er verbarg das Gesicht in den Händen, und auf einmal war er wieder fünf

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