Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
Vom Netzwerk:
Lithographie von Maurits Cornelis Escher, die sie mit dem Bleistift abzeichnen muss, die mit dem Titel Haus der Treppen . Ich möchte ihr helfen. Ich habe ihr erzählt, dass ich früher gut zeichnen konnte. Aber wenn ich den Stift in die Hand nehme und die Bleistiftmine das weiße Blatt berührt, betrete ich wie durch ein Wunder dieses Haus und beginne, seine Treppen auf und ab zu gehen.
    Sie reißt mir die Zeichnung aus der Hand.
    »Entschuldige«, sage ich.
    Aber sie hat die Zimmertür bereits zugeknallt. Nach einer Weile kehrt sie zurück und sagt: »Warum bist du nie dort, wo du sein sollst? Du behauptest immer zu tun, was du tun musst, blablabla … Aber das stimmt nicht. Ich rede mit dir, aber du hörst mir nicht zu. Ich bitte dich um Hilfe, und du verlierst dich in Gedanken. Du bist wie ein leckes Rohr, deine Aufmerksamkeit fließt davon, ohne dass du es bemerkst. Vielleicht bemerkst du es ja auch, vielleicht ist es das Leben, das dir entgleitet. Aber du tust nichts, um es aufzuhalten, um dieses Leck zu schließen. Nur gut, dass es Mama gibt, im Gegensatz zu dir ist sie wenigstens für mich da.«
    »Ich weiß«, sage ich nur.
    *
    Im Sommer willigt Elena ein, auf zehn Tage in den Bergen zu verzichten. Ich habe sie gebeten, mich auf zwei Reisen zu begleiten, die ich schon viel zu lange vor mir hergeschoben habe. Eine hat zum Ziel, die Auberge des deux noms zu finden. Die andere Colle Ferro, Iole und Maria.
    Wir nehmen das Auto. Wir halten in der Camargue, übernachten in einem Bed & Breakfast. Am nächsten Tag kommen wir nach Blanquefort. Die Sonne geht gerade unter, und Vogelschwärme verfolgen uns, streifen den Rathausturm.
    Vierzig Jahre sind vergangen. Der Ort hat nichts mehr mit den körnigen Bildern zu tun, die mir durch den Kopf spuken. Wir lassen das Auto in einer Tiefgarage stehen. Ein Junge mit Kopfhörer und Walkman gibt uns einen Parkschein, sagt, dass wir ihn am Ausgang vorzeigen müssen und ihn nicht verlieren dürfen. »Wenn Sie ihn verlieren, müssen Sie für den ganzen Tag zahlen.« Am Ende einer stark befahrenen Straße, hinter der Leuchtreklame eines Kinos, sehe ich den Bahnhof. Es ist der, von dem der Zug abgefahren ist, der uns nach Genua gebracht hat: Die italienischen Stimmen fallen mir wieder ein, die Sitze und Fenster. Wir betreten ihn. Nur die Fassade ist gleich geblieben. Der Rest besteht aus Licht, Glas und löchrigen gelben Plastiksitzen. Wir suchen die Auberge des deux noms , aber es gibt sie nicht . Wir fragen bei der Touristeninformation nach.
    »Die haben wir nicht auf unserer Liste«, heißt es dort. »Wir wissen auch nicht, ob es sie je gegeben hat.«
    »Es hat sie gegeben«, sage ich. »Ich habe dort gewohnt.«
    Die junge Frau hinter dem Schalter trägt eine Anstecknadel auf der Brusttasche, darauf steht: Je parle anglais, italien et espagnol … et français, bien sur. Auf Italienisch erwidert sie: »Wenn Sie es sagen! Vielleicht wurde sie abgerissen.«
    Auch den Wein gibt es nicht mehr. Wir suchen fünf verschiedene Weinkeller auf, keiner kennt ihn. Ich würde gern das Haus wiederfinden, in das wir nach Madame Fleurs Pension gezogen sind. Ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll. Wir fahren mit dem Auto über Land, ich schaue mich um, suche nach einem Hinweis, nach einer Kreuzung, nach irgendetwas, das meiner Erinnerung wieder auf die Sprünge hilft. Leider vergeblich.
    Nach dem Abendessen rufen wir von einer Telefonzelle aus Agata an. Sie ist mit Freunden am Meer. Es gibt einen Jungen, den sie seit Kurzem kennt, einen Sizilianer. Elena ist fest davon überzeugt, dass sie ein Paar sind. »Wir werden sehen«, sagt sie.
    »Was?«, frage ich.
    Sie zuckt die Achseln. »Wir werden sehen.«
    »Wenn das stimmt, sollte sie es uns sagen.«
    »Wenn der Moment gekommen ist, wird sie es schon tun.«
    Wir kehren nach Italien zurück, halten in Genua. Am nächsten Tag fahren wir nach Colle Ferro. Der Kirchplatz ist so wie früher, das Postamt neu, die Straße asphaltiert, Putz und Hausmauern haben andere Farben, aber die Gebäude sind gleich geblieben.
    Auf dem Friedhof zeige ich Elena, wo Großmutter begraben liegt.
    Die Tür des Lebensmittelladens hat einen Vorhang mit Glöckchen, die klingeln, sobald wir ihn betreten. Die Besitzerin schneidet gerade Schinken auf. Sie wendet sich uns mit einem breiten Lächeln zu. » Buongiorno «, sagt sie.
    »Ich hätte Sie gern etwas gefragt, wenn das möglich ist«, sage ich.
    »Hier ist alles möglich.«
    Ich erkläre ihr, wer ich bin. Ich

Weitere Kostenlose Bücher