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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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sah mich an. »Ich habe nie verstanden, ob ihm das wirklich gefallen hat.« Von der Terrasse aus konnte man hinter den Baumkronen die letzten beiden Klinikstockwerke sehen sowie die riesige, von Efeu und Blauregen überwucherte Fassade über dem Laubengang. Irgendwo da drin kämpfte mein Vater gegen die Krankheit, die seine roten Blutkörperchen und Blutplättchen drastisch verringert hatte. Ich wusste, dass meine Mutter lieber bei ihm gewesen wäre, statt in einer Pasticceria zu sitzen und an einem caffè freddo zu nippen. Mir ging es genauso, aber ich durfte nicht.
    »Wie wär’s, wenn ich dich zu ihm bringe, Zeno?«, sagte meine Mutter plötzlich, so als hätte sich irgendein Pfropfen gelöst und die Gedanken könnten wieder frei fließen.
    »Zu wem?«, fragte ich.
    »Zu deinem Großvater«, sagte sie und ließ den Strohhalm auf den Tisch fallen.
    Ich verstand nur Bahnhof. »Nach Capo Galilea?«
    »Nein«, sagte sie und räusperte sich, als müsste sie jahrzehntealte rußige Ablagerungen aus ihrer Kehle entfernen. »Zu meinem Vater.«
    Wenn man erfährt, dass der Großvater, von dem nie die Rede war, ja dessen Existenz einem verheimlicht wurde, dass dieser Großvater in einem Haus wohnt, isst, arbeitet, mit Leuten redet, Radio hört – nun, wenn man so etwas erfährt, kommt man sich vor, als wollte man auf den Balkon gehen, nur um festzustellen, dass er abgefallen ist und dass da unten nicht mehr der vertraute Innenhof mit den Magnolien, der Schaukel und dem Planschbecken liegt, sondern ein Abgrund. Das Vertraute wird fremd, das Alltägliche unverständlich. Ist das alles, oder ist da noch mehr? Was weiß ich noch alles nicht? Zweifel sind ein gefährliches Terrain, ein abschüssiges Gelände. Meine Eltern hatten meinen Unschuldsbeteuerungen wegen des Kirchenfensters nicht geglaubt, und jetzt musste ich feststellen, dass ich den Kindheitsschilderungen meiner Mutter keinen Glauben schenken durfte. Sie hatte mich zwar nicht direkt belogen; aber mir zu verheimlichen, dass ihr Vater noch lebte, war das nicht auch eine Art Lüge? Und was war mit der Krankheit meines Vaters? War sie vielleicht doch schlimmer, als ich dachte? Waren meine Eltern wirklich davon ausgegangen, dass ich bei ihnen in der Klinik bleiben konnte? Oder war das alles nur gespielt, und sie hatten von Anfang an gewusst, dass man mich nicht dabehalten würde, weshalb meine Mutter plötzlich mit der Geschichte von der Wohnung rausgerückt war, nur um mir einen Floh ins Ohr zu setzen und mich zum Nachhaken zu bewegen und anschließend so zu tun, als fiele ihr auf einmal ein, dass sie noch einen Vater hatte, der anderthalb Stunden von Genua entfernt wohnte. Einen Vater, den sie seit dreizehn Jahren nicht mehr gesehen hatte und bei dem sie mich unterbringen konnte?
    Mir wurde schwindlig.
    »Das glaub ich einfach nicht!«, sagte ich.
    »Was?«
    »Dass du ihn mir so lange verheimlicht hast.«
    »Ich habe ihn dir nicht verheimlicht«, sagte meine Mutter vom Fahrersitz aus (wir hatten die granita und die beiden caffè rasch bezahlt und waren mit dem Auto nach Colle Ferro aufgebrochen, wo mein Großvater lebte.) »Und angelogen habe ich dich erst recht nicht.«
    »Du hast mir nie gesagt, dass ich noch einen Opa habe.«
    »Du hast mich nie danach gefragt.«
    »Ich habe dich nie danach gefragt ?«, schrie ich. »Hätte ich dich das denn fragen müssen? Gibt es vielleicht noch andere Dinge, die du vergessen hast, mir zu sagen? Dass ich adoptiert bin, zum Beispiel? Oder dass ich einen Bruder in Island, eine Schwester in Mexiko habe? Ach so, warte, ich habe dich auch noch nie gefragt, ob ich Vasco Rossis oder Eric Claptons Sohn bin. Bin ich vielleicht der Sohn von Vasco Rossi oder Eric Clapton? Stimmt mein Geburtsdatum? Ich habe dich nie danach gefragt, tue es aber jetzt, weil ich mich schon immer ziemlich reif für mein Alter gefühlt habe. Vielleicht bin ich ja dreizehn statt zwölf, was weiß denn ich …«
    »Zeno, es reicht.«
    Das Auto kletterte Serpentinen hinauf, und die Landschaft änderte sich. Die Häuser wurden weniger, die Blätter und Wiesen grüner, die Olivenbäume wichen Kastanien.
    Meine Mutter setzte den Blinker, trat auf die Bremse und fuhr rechts ran. Jenseits der Leitplanke konnte ich in etwa hundert Metern Entfernung ein gelbes Haus mit einer großen Terrasse erkennen. Eine Frau hängte Wäsche auf und kämpfte mit dem Wind, der ihr das weiße Laken entreißen wollte. Unterhalb der Terrasse, neben zig Salbei- und Basilikumpflanzen, schlief

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