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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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morgens ganz allein einen Waldspaziergang zu unternehmen. Ich habe schon immer gut allein sein können, und vielleicht war das das Einzige, was Großvater und mich in diesem Sommer miteinander verband, darauf schließen ließ, dass wir miteinander verwandt waren. Ich machte einen Waldspaziergang, weil es sonst nichts zu tun gab. Ich nahm den Weg, der am Klettergarten vorbeiführte, lief zum See hinunter und über den Staudamm, kletterte auf die unteren Äste der Bäume und ließ vorsichtig die Zehen ins Wasser hängen. Außerdem dachte ich mir Geschichten, Figuren, Schauplätze aus, skizzierte sie mit einem 4B-Bleistift auf die durchsichtigen Blätter meiner Fantasie. Anschließend wurden die Zeichnungen lebendig, verselbständigten sich zu Verfolgungsjagden, Rachefeldzügen und Rettungsmissionen für in Not geratene Familien: Ja, genau, sie galten weder Frauen noch Kindern, sondern Familien. Die Zeit zog sich endlos lang hin. Wenn ich das leid wurde, bestieg ich den Monticello. Und wartete auf SMS -Botschaften.
    Nach dem nächtlichen Wutanfall über mein Auftauchen im Keller gingen Großvater und ich uns so weit wie möglich aus dem Weg. Nur zu den Mahlzeiten sahen wir uns zwangsläufig. Weil wir das Schweigen nicht aushielten, fiel uns auch dafür eine Lösung ein: Wir legten eine Schallplatte auf und verloren uns in der Musik. Die Platte suchte selbstverständlich er aus. Aber wenn ich heute ein Jazz- und Klassikfan bin, dann wegen dieser erzwungenen Stunden. Großvater kochte, und weil ich nicht untätig bleiben wollte, spülte ich anschließend ab.
    Es war schon eine Weile her, dass ich den Jungen mit dem Basketball gesehen hatte. Vielleicht hatte er mich ja auf den Arm genommen und wohnte gar nicht in Colle Ferro. Wahrscheinlich war alles gelogen, auch der Tod seiner Eltern. Vermutlich saß er gerade mit seinen Freunden am Strand und lachte mich aus, während Michele und Salvo in Capo Galilea nach der Arbeit in der Kirche Tischfußballturniere in der Strandbar organisierten. Allein schon beim Gedanken daran, dass sie mich in die Sache mit hineingezogen hatten, obwohl ich unschuldig war, kochte ich vor Wut. Trotzdem hätte ich alles darum gegeben, mit ihnen zusammen sein zu können.
    Als ich mich eines Nachmittags langweilte, ging ich zu den Grotten. Ich wollte sie mir aus der Nähe anschauen. Ich erreichte sie über einen Schotterweg, der den Berg entlangführte, und blieb minutenlang davor stehen. Der Eingang wirkte groß, das Licht von außen fiel mehrere Meter weit hinein. Dann wurde er schmaler und machte einen Knick nach rechts. Die Dunkelheit wurde undurchdringlich. Ich ging zehn Schritte hinein und knipste die Taschenlampe an, die ich zusammen mit einem aufgerollten Seil im Rucksack mitgenommen hatte. Doch ihr Licht war zu schwach und reichte nicht weit genug. Es erhellte gerade mal den Bereich direkt vor meinen Füßen oder einen Felsvorsprung, kurz bevor ich dagegenrannte. Ein kalter Luftzug, der so stark war, dass ich ihn im Nacken spürte wie die Finger einer Hand, zog mich tiefer hinein. Ich stampfte mit den Füßen auf, woraufhin eine Wolke aufwirbelte, die sofort im Innern des Berges verschwand. Ich machte kehrt, knotete ein Seilende an einen Busch neben dem Eingang, hielt den Rest gut fest und ließ mich von der Grotte verschlucken. Das Seil rollte langsam ab, während ich mich mit kleinen Schritten weiter vorwagte. Ich ertastete den Boden mit den Schuhsohlen. Bestimmt war es gefährlich, allein herzukommen. Ich dachte darüber nach, wie viel Sauerstoff so eine Grotte eigentlich enthält. Ich dachte an die Lampen, die Bergbauarbeiter in Dokumentarfilmen benutzen. Lampen, die ausgehen, wenn sie mit giftigen Gasen in Kontakt kommen. Vielleicht brauchte ich einen Kanarienvogel? Doch dann war es das Seil, das nicht ausreichte, und nicht der Sauerstoff. Ich hielt es zwischen zwei Fingern und leuchtete mit der Taschenlampe, so weit ich konnte, aber es war nichts als Dunkelheit zu erkennen. Ich richtete die Taschenlampe auf den Boden: Tierknochen in einer Ecke, etwas Kleines, Schwarzes, das zwischen den Felsen herumkroch. Ich kehrte um.
    Es war noch hell. Ich nahm den Weg zum See. Unterwegs traf ich die drei alten Männer von der Piazza; sie gingen in derselben Reihenfolge spazieren, in der sie auch auf der Bank saßen. Der mit der Zeitung unterm Arm begrüßte mich, indem er die Hand öffnete und die Finger bewegte. Der Zweite lüftete den Hut, und der Dritte sagte: »Wohin gehst du?«
    »Zum

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