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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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daraus trinkt, ist geheilt.«
    »Wenn das stimmen würde, hätte man längst eine Fabrik gebaut«, sagte der Mann mit der Zeitung.
    Der andere gestikulierte, als wollte er die Worte vermengen. »Oder eine Kirche.«
    »Aber niemand ist je dort reingegangen, um nachzusehen«, wandte Isacco ein.
    »Mein Vater war einmal drin, mit meinem Onkel Alessandro«, schaltete sich Luna ein, die bisher geschwiegen hatte, sodass sie ganz in Vergessenheit geraten war.
    »Im Ernst?«
    »Mit einem Verein für Höhlenkunde.«
    »Und was haben sie darin entdeckt?«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Auch die Türken sind x-mal über die Ruinen von Troja hinweggelaufen«, sagte ich. »Aber dieser Typ da hat es schließlich entdeckt.«
    »Wer?«
    »Ein Archäologe«, sagte ich. »Sein Name fällt mir gerade nicht ein.«
    Als Lunas Vater an diesem Abend nach Hause kam, versuchten wir, ihn mit allen Mitteln dazu zu bringen, uns in die Grotten mitzunehmen, doch er blieb unerbittlich.
    »Kommt gar nicht infrage, das ist viel zu gefährlich! Man sollte sie schließen! Alessandro hat bereits einen Brief an den Präfekten und an den Bürgermeister geschrieben. Früher oder später verirren sich Kinder darin, und dann ist die Hölle los.«
    Als meine Mutter mit dem Auto vorbeifuhr, befand ich mich gerade auf der Piazza.
    Ein Mann in Schutzanzug und mit Giftspritze entfernte ein Hornissennest von einem Dachboden. Der Alte mit Anselmos Hut und der mit der Zeitung erzählten, sie seien nach dem Krieg einem Hornissen fangenden Landstreicher begegnet. Der habe sie an die lange Leine gelegt, woraufhin sie ihn gehorsam umschwirrten.
    Ich sah sie vorbeifahren und rannte ihr nach. Als ich zu Hause ankam, war sie schon hineingegangen, und Iole servierte ihr Kaffee. Großvater stand in der Ecke und sammelte gerade die Scherben eines Terrakottatopfes auf, den die Wurzeln einer Yuccapalme gesprengt hatten. Er warf nie etwas weg: Alles, was sich reparieren oder recyceln ließ, wurde von ihm repariert oder recycelt.
    »Und?«, fragte ich, als ich wie der Blitz ins Haus schoss.
    Bisher waren die Besuche meiner Mutter in Bezug auf Neuigkeiten über meinen Vater nie sehr ergiebig gewesen. Sein Krankenhausaufenthalt war zur langweiligen Routine aus Untersuchungen und Therapien geworden. Doch jedes Mal hoffte ich auf neue Entwicklungen.
    »Hallo«, sagte sie. »Bekomme ich vorher einen Kuss?«
    Ich umarmte sie rasch. »Wie geht es Papà?«
    »Neugier ist der Katze Tod«, bemerkte Iole und servierte die Ingwerkekse, die sie soeben aus dem Ofen geholt hatte.
    »Welche Katze?«
    Meine Mutter hob die Hände. »Hast du Lust, heute mit nach Genua zu kommen?«
    »Heute?«
    »Ich habe ein hübsches Bed & Breakfast gefunden, ganz in der Nähe der Klinik, und es für eine Woche gebucht.«
    »Für eine ganze Woche?«
    »Ich dachte, du würdest gern das Aquarium besichtigen. Wir können auch irgendwo baden gehen und …«
    »Kann ich Papà sehen?«
    »Natürlich.«
    Ich breitete die Arme aus, um meine Begeisterung fassen zu können – vergeblich. »Ich packe«, sagte ich und sauste nach oben.
    Wir fuhren mehr oder weniger sofort los.
    Das Bed & Breakfast bestand aus drei Zimmern mit Bad, Klimaanlage und einer kleinen Terrasse. Sie ging auf einen Platz mit einer großen Zypresse sowie Tischen und Stühlen einer Pasticceria hinaus. Die Zimmer hatte die Eigentümerin, eine zierliche Frau, die deutlich jünger aussah, als sie war, nach den drei Alben von Ivano Fossati benannt: Discanto, Lindbergh und Macramé . Im Prospekt hieß es, das Bed &Breakfast sei der ideale Ausgangspunkt, um Genua, Portofino, Camogli und Cinque Terre zu besichtigen. Zum Frühstück gäbe es lokale Spezialitäten wie focaccia , ciambella , torta al cioccolato, biscotto del lagaccio . Die Marescotti-Klinik, in der mein Vater lag, fand keine Erwähnung, aber ihre Anwesenheit war deutlich spürbar: Man konnte sie zwar von keinem Balkon, von keinem Fenster aus sehen, aber ich wusste trotzdem, dass sie dort draußen war – hinter der Zypresse, hinter den Tischen und Stühlen der Pasticceria, ja hinter den beiden siebenstöckigen Gebäuden, die einen Teil des Hügels überschatteten. Ich wollte meinen Vater sofort sehen, alles andere wie das Aquarium, der Strand und erst recht focacce , ciambelle und irgendwelche terre, egal, wie viele, waren mir komplett gleichgültig.
    Aber das ging nicht, wir würden ihn erst am nächsten Tag besuchen.
    Wir betraten den Klinikflur an einem wunderschönen Sommertag. Es wehte ein

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