Der Sommer auf Usedom
sprechen.« Gabi beugte sich vertraulich vor, während sie ihm die Mappe endgültig in die Hand drückte. »Keine Sorge, ich habe nicht erwartet, dass Sie heute Abend Zeit dafür haben.«
Jasmin ließ den Raum, eine ausgebaute Diele mit Fachwerk und dunkelbraunen, beinahe schwarzen Balken auf sich wirken. Verstohlen beobachtete sie zwischendurch ihre Freundin, die in dem silbergrauen Gehrock umwerfend aussah, wie sie fand. Gabi hatte es wirklich gut. Sie hatte eine sportliche Figur und eine ebenmäßige Haut, die so glatt aussah, dass man sie am liebsten berühren wollte. Von Make-up oder anderer Altbausanierung, wie sie es gern nannte, hielt sie gar nichts. Selbst das Grau, das sich in ihren Haaren nach Thorstens Tod so rasch ausgebreitet hatte, stand ihr ausgezeichnet. Jasmin dagegen empfand sich nicht nur als pummelig, sie kämpfte auch oft genug mit ihrer Frisur, die gerade dann nicht saß, wenn es darauf ankam. Zu allem Überfluss war sie ein sehr heller Typ. Wenn sie im Sommer Farbe bekam, dann war das nicht etwa ein hübscher Bronzeton, sondern sie sah rot gefleckt aus. Wenigstens ein Hauch von Puder war also Pflicht.
»Nein, wir sollten unbedingt einen Termin machen. Das wäre nett«, hörte sie Monsieur Fromage sagen. »Bald, wir sollten bald einen Termin machen. Ich frage mich nämlich, ob man nicht doch ein großes Fenster …« Er schlug die Mappe auf und legte sie auf die Platte des Stehtisches, wobei er eine kleine Schale mit Crackern, nach denen Jasmin gerade die Finger ausgestreckt hatte, beiseiteschob. Jasmin knurrte der Magen, und sie wartete sehnsüchtig auf die von Gabi angekündigte Käseverkostung.
»Hier! Ob an dieser Stelle ein großes Fenster nicht doch nett wäre«, beendete er seinen Satz und legte grübelnd die Stirn in Falten, während sein Daumen auf die Zeichnung klopfte.
»Sie wollten ein energetisch optimiertes Haus«, erinnerte Gabi ihn ruhig. An ihrem Tonfall konnte Jasmin erkennen, dass sie innerlich zu kochen begann. Sie konnte Kunden nicht ausstehen, die anscheinend überzeugt von einem Konzept warenund es dann zugunsten irgendwelcher neuen Ideen leichtfertig opferten.
»Auf jeden Fall!« Monsieur Fromage nickte eifrig. »Nur ist der Blick zu dieser Seite heraus ganz besonders nett. Ich stelle mir vor, ich sitze hier am Abend nach getaner Arbeit. Im Kamin brennt ein Feuer, ich habe ein Glas Wein vor mir stehen, probiere meinen neuen Käse und blicke hinaus durch ein riesiges Fenster …«
»Und sehen nichts«, beendete Gabi den Satz trocken. »Wenn Sie Ihren Kamin anfeuern, ist Winter. Das heißt, wenn Sie endlich Feierabend haben und es Zeit für ein Glas Wein ist, dann ist es draußen dunkel. Egal, wie groß das Fenster ist.«
Er wand sich wie ein Aal. »Da haben Sie natürlich recht. Aber grundsätzlich …«
Sie seufzte tief und setzte ihren überheblichen Blick auf. Der Todesstoß für jeden zögerlichen Kunden. »Bitte, es ist Ihr Anbau und Ihre Entscheidung. Aber diese Seite …« Sie tippte mit dem spitz gefeilten Nagel ihres Zeigefingers gefährlich dicht neben seinen Daumen. »… ist Norden. Norden, kleine Fenster, Süden, große Fenster. Jedenfalls wenn Sie energetisch schlau bauen wollen. Aber wenn Ihnen das doch nicht so wichtig ist …« Ein Mitarbeiter trat an ihren Tisch, begrüßte die beiden Frauen, entschuldigte sich für die Störung und flüsterte seinem Chef etwas ins Ohr.
»Ah, es geht los! Die Klarinettistin ist so weit«, kündigte er an und schob die Unterlagen eilig zurück in die Mappe.
»Wie nett«, sagte Gabi, ohne eine Miene zu verziehen.
»Wir machen einen Termin. Ich lasse mir bis dahin alles noch einmal durch den Kopf gehen.« Er berührte kurz ihre Schulter und machte sich dann eilig aus dem Staub.
»Der macht mich fertig«, sagte Gabi stöhnend, kaum dass er außer Hörweite war. »Erst will er Erdwärme, dann doch lieber eine Pelletheizung. Aber bitte schön mit offenem Kamin, in dem die Holzscheite so schön knistern. Aus einem versetzten Baukörper ist inzwischen ein Kubus geworden. Ob er eine sichtbare Balkenlagehaben will, weiß er noch immer nicht.« Sie schnaubte. »Hoffentlich kriegen wir bald etwas zu trinken.«
Jasmin lachte. »Und ein bisschen Käse wäre …« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Nett!«
Jetzt konnte auch Gabi wieder lachen. »Bei ihm ist alles nett. Bestimmt hat er deshalb auch eine Klarinettistin ausgesucht.« Sie winkte einem jungen Mädchen, vermutlich eine Studentin, die sich als Kellnerin
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