Der Sommer auf Usedom
etwas verdiente. Die kam an ihren Tisch, erklärte die drei Weinsorten, die sie auf ihrem Tablett hatte, und stellte den beiden Frauen den Rosé hin, für den die sich entschieden hatten.
»Zum Wohl!« Gabi hob ihr Glas. »Wir trinken auf dich«, ergänzte sie. »Du siehst klasse aus in dem Kleid. Ist das neu? Ist mir vorhin schon aufgefallen?«
»Ehrlich, gefällt’s dir? Ist das nicht zu figurbetont?«
Gabi rollte mit den Augen. »Geh mir bitte nicht auf die Nerven. Das hat schon der Käsemann geschafft. Nein, es steht dir richtig gut. Der eine oder andere hat schon ein Auge auf dich geworfen, glaube ich.«
Jasmin sah sich kurz um. »Quatsch! Wobei …« Sie beugte sich näher zu ihrer Freundin hinüber. »Die beiden Männer da am Eingang gucken tatsächlich andauernd her. Und die große kräftige Frau mit den karottenroten Haaren auch. Bloß gucken die nicht zu mir, sondern zu dir, da gehe ich jede Wette ein.«
Gabi zuckte mit den Schultern. »Kann schon sein«, sagte sie gleichgültig. »Wahrscheinlich denken sie, ich hätte endlich eine Lebensgefährtin.« Jasmin sah sie fragend an. »Usedom ist ein Dorf, da wird viel geredet. Früher oder später landet der Klatsch auch bei dir selbst. Deshalb weiß ich inzwischen, dass viele hier denken, ich stehe auf Frauen«, erklärte sie ihrer verblüfften Freundin. »Ich gehe mit keinem Mann aus, trage nur Hosen und Anzüge, zack, da ist das Urteil schnell gesprochen.«
»Macht dir das nichts aus?«
»Nein, wieso sollte es? Wäre doch nicht schlimm, wenn sie recht hätten.«
»Nein, das wäre es nicht.«
»Und es hat den Vorteil, dass die Männer auf jeden Fall die Finger von mir lassen. Selbst die verzweifelten, die es sonst mit einer biestigen, vorzeitig ergrauten Architektin probiert hätten.«
»Dass das unbedingt ein Vorteil ist, würde ich nicht sagen. Da bin ich ganz anderer Meinung.«
»Ich weiß. Interessiert mich aber nicht. Viel mehr interessiert mich, was bei dir und den Männern läuft.«
»Wie kommst du denn jetzt darauf?«
»In deinem Horoskop stand heute Morgen, eine Begegnung könnte dein ganzes Leben verändern. Das Liebesglück reicht dir die Hand, du brauchst nur zugreifen.«
»Ich fasse es nicht, dass du noch immer Horoskope liest. Das ist doch Schund.«
»Das ist Unterhaltung.«
»Ich weiß nicht, was an diesem Mist unterhaltsam sein soll.« Sie schüttelte den Kopf und probierte einen Cracker.
»Ich bezahle die ganze Zeitung, also lese ich sie auch vollständig«, erklärte Gabi ungerührt. »Das Liebesglück reicht dir die Hand«, wiederholte sie. »Du willst mich ständig unter die Haube bringen, dabei war ich da schon. Ich habe meine Wahl getroffen.« Ihre Stimme wurde rau. »Sie war gut. Ich würde wieder Thorsten wählen, selbst wenn ich schon bei der Hochzeit wüsste, dass wir nicht besonders viel Zeit zusammen haben.«
»Er war die beste Wahl, keine Frage«, stimmte Jasmin zu und legte ihr eine Hand auf den Arm.
Gabi schluckte, ihre Augen waren feucht. »Gewählt ist gewählt und gewesen ist gewesen«, sagte sie und räusperte sich. »Du hast deine Wahl noch nicht getroffen. Okay, du bist ›pummelig‹, zehn Jahre jünger als ich, aber ich bin keine dreißig mehr.« Sie grinste breit. »Will sagen, es wird allerhöchste Zeit, dass du zugreifst, wie es dein Horoskop empfiehlt.«
»Blödsinn. Entweder es ergibt sich, oder es ergibt sich nicht.« Da waren sie also bei Thema Nummer zwei gelandet, über dassie nicht wirklich gut reden konnten. So wie Jasmin am liebsten einen Kerl für Gabi backen würde, war die ständig besorgt, dass Jasmin keinen mehr abkriegen würde. Dabei hatte Jasmin schon Beziehungen gehabt. Sie konnte auch nicht erklären, warum die nie länger als ein halbes Jahr gehalten hatten. Gabis Theorie war, dass der Richtige einfach noch nicht dabei war, weil Jasmin in dieser Hinsicht kein glückliches Händchen hatte. Jasmin dagegen war der Überzeugung, dass sie nicht attraktiv genug war. Wenn sie erst wieder mehr Sport machen und ein paar Kilo verlieren würde, dann sähe die Lage sicher gleich viel rosiger aus. Andererseits, was sollte sie mit einem anfangen, der derartig oberflächlich war, dass er sich von kleinen Pölsterchen abschrecken ließ? So einen wollte sie nicht, dann schon lieber allein bleiben. Das war das Dilemma, hinter dem sie sich in den letzten Jahren prima verstecken konnte.
»Was war zum Beispiel mit dem Typen, der gestern als Letzter gerade noch in die Führung gestolpert
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