Der Sommer auf Usedom
dichtes wie weites Netz von Händlern und Abnehmern zurückgreift, sagt Dietmar Naujoks, Leiter der örtlichen Ermittlungsgruppe«, las sie vor.
»Das müssen doch Leute sein, die sich auskennen«, überlegte Jasmin laut und war nun vollends von den Flyern und dem Reiseführer abgelenkt, die Gabi ihr hingelegt hatte, damit sie ein Ausflugsziel für den Tag aussuchen konnte. »Ich meine, kostbare Kunstobjekte werden gesichert. Die kann man nicht mal eben im Vorbeigehen entwenden.«
»Natürlich nicht. Wenn du mich fragst, ist das auf jeden Fall eine ganze Bande. Organisiertes Verbrechen. Für einen Gelegenheitsdieb ist die Sache eine ganze Nummer zu groß.« Sie faltete die Zeitung zusammen und warf sie in die alte Weinkiste, die sie für ihr Altpapier verwendete. Jasmin hätte diese Kiste einfach entsorgt, Gabi hingegen hatte einen Blick für schöne Dinge. Tatsächlich wirkte die alte Holzkiste mit dem aufgedruckten Logo eines Weingutes in der Toskana und dem Brandzeichen, das die darin transportierte Weinsorte verriet, wie ein schickes antikes Möbelstück. »Also, was wollen wir unternehmen?«
»Tja, ich weiß nicht, ich habe mich noch gar nicht durch den Stapel gewühlt, den du mir gegeben hast. Warum machst du nicht einen Vorschlag? Immerhin ist es dein freier Tag.«
»Also schön. Was hältst du davon, wenn wir erst in den Kletterwald gehen und dann ein bisschen in Bansin bummeln?«
»Kletterwald? Ich bin doch kein Affe!«
Gabi prustete los. »Du müsstest dein Gesicht sehen.« Sie beruhigte sich wieder. »War nur ein Spaß, ich will mich auch nicht zum Affen machen.« Sie dachte kurz nach. »Aber Bansin war durchaus ernst gemeint. Wir könnten uns das Gedenkatelier von Rolf Werner ansehen. Mit seinen Bildern kann ich mehr anfangen als mit denen vom alten Otto. Und du wirst das Atelier lieben. Werners Witwe hat es teilweise so belassen, wie es zum Zeitpunkt seines Todes aussah.«
»Hört sich großartig an. Hättest du wirklich Lust dazu, oder gehen wir nur mir zuliebe hin?«
»Natürlich nur dir zuliebe«, entgegnete Gabi, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich bin schließlich eine perfekte Gastgeberin.«
»Das bist du!«
Schon wieder hatte Gabi recht behalten. Jasmin liebte das Atelier. Nachdem die beiden sich gemeinsam sehr ausführlich die Bilder angesehen hatten, plauderte Gabi mit einer Frau, die um die fünfzig Jahre alt sein mochte und irgendwie mit dem Maler verwandt war. Sie hatte eine kleine Führung gemacht und unterhielt sich nun mit Gabi über Umbaumöglichkeiten des reetgedeckten verwinkelten Hauses. Jasmin hatte Zeit, sich allein noch einmal die Gemälde anzusehen, die ihr am besten gefallen hatten, wie etwa das der Seebrücke mit einem Segelschiff im Hintergrund, das die gezeigte Idylle durch hohe dunkle Wellen und einen grauen Himmel in Frage stellte. Oder ein anderes von einer als Clown verkleideten Person, die den Betrachter traurig und verloren anstarrte.
Jasmin ging in den Räumen hin und her, atmete den Duft von Ölfarbe und altem Holz ein, hörte den honigfarbenen Dielen zu, die jeden ihrer Schritte kommentierten, und erfreute sich an Details, die das Atelier so lebendig machten. Da stand ein Foto des Künstlers, angelehnt an ein Glas, aus dem struppige Pinsel ragten, dort stand eine rote Rose in einer Vase zwischen beklecksten Paletten, Kästchen und Papierfetzen. Als sie sich endlich sattgesehen hatte, ging sie zu ihrer Freundin zurück, die noch immer in das Gespräch mit der Mitarbeiterin des Museums vertieft war. Um architektonische Leistungen oder bauliche Veränderungen ging es allerdings nicht mehr, sondern die beiden sprachen über den oder die Kunstdiebe von Usedom.
»Unsere Alarmanlage war gerade nicht in Betrieb. Die müssen gewusst haben, dass es noch einen Tag dauern würde, bis sie repariert ist.« Die Dame seufzte.
»Stell dir vor, das Werner-Gedenkatelier ist auch bestohlen worden«, sagte Gabi, an Jasmin gewandt.
»Da macht sich doch jemand die Mühe, die Umgebung der Objekte, auf die er scharf ist, gründlich auszukundschaften, bevor er zuschlägt«, meinte Jasmin. »Ich meine, das mit der Alarmanlage können die doch nur durch gute Kontakte oder gründliches Auskundschaften erfahren haben.«
»Davon bin ich auch überzeugt«, stimmte die Museums-Dame zu.
»Du sagst, das geht nun schon seit Wochen so«, führte Jasmin ihren Gedanken fort. »Wann ist denen zum bisher letzten Mal ein Coup gelungen?«
»Vorgestern«, antwortete Gabi. »Gestern stand es in
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