Der Sommer auf Usedom
ist?«
»Du, das wollte ich dir schon die ganze Zeit erzählen. Den habe ich heute schon wieder getroffen.«
»Ach! Das ist ja ein Zufall«, sagte Gabi gedehnt.
»Ja, oder? Der war auch auf dem Streckelsberg unterwegs. Und stell dir vor: Beinahe wäre er das sechshundert Meter hohe Kliff heruntergefallen!« Gabi machte große Augen. »Der ist schon wieder gestolpert, hätte fast meinen Rucksack zertrampelt und die Staffelei umgehauen. Weil er das natürlich vermeiden wollte, hat er einen Satz gemacht, direkt auf die Steilkante zu.«
»Aber ihm ist nichts passiert«, stellte Gabi nüchtern fest.
»Nein, Gott sei Dank.«
»Hat er dir erzählt, dass der Hügel sechshundert Meter hoch ist?«
»Nein, das habe ich irgendwo gelesen, glaube ich.« Sie sah den erschöpften Blick ihrer Freundin. »Waren es doch nur hundertsechzig? Ich war mir nicht sicher.«
»Sechzig. Der Höcker ist sechzig Meter hoch. Höchstens.«
»Ehrlich? Mir kam er viel höher vor, als ich raufgelaufen bin.«
»Wie kannst du bei deinem Zahlengedächtnis nur so erfolgreich als Steuerberaterin arbeiten?«
Monsieur Fromage trat zu ihnen und stellte ihnen jeweils einen Teller mit den verschiedensten Köstlichkeiten hin. Kleine Türme aus übereinandergestapelten Schichten Schwarzbrot, Käse, Salat und einer undefinierbaren Creme standen neben aufgerollten und gefüllten Käsescheiben sowie mehreren überbackenen Variationen. Dazwischen gab es erfreulich viele kleine Käsespießchen mit und ohne Obststückchen.
»Guten Appetit, die Damen!« Schon war er wieder weg, um die nächsten Gäste zu versorgen.
»Der Käse ist großartig. Wusste gar nicht, dass Usedom berühmt für seine Molkereiprodukte ist.« Jasmin kaute genüsslich.
»Monsieur Fromage hat sein Handwerk in Frankreich gelernt und dort lange eine Käserei geleitet. Aber die Liebe hat ihn hierher auf die Insel verschlagen. Wobei wir wieder beim Thema wären.« Sie sah Jasmin erwartungsvoll an.
»Wie sagtest du vorhin? Geh mir bitte nicht auf die Nerven. Gleichfalls.« Jasmin schob sich ein Käseröllchen zwischen die Zähne. Da fiel ihr etwas ein. »Waf hab daf überhaupt mit dem Tölpel aus dem Mufeum fu tun?«, brachte sie mit vollem Mund hervor.
»Ab einem Kilo wird’s undeutlich.«
Jasmin schluckte. »Witzig«, flüsterte sie und sah sich um. Glücklicherweise waren die anderen Besucher auf ihre eigenen Gespräche konzentriert oder hörten andächtig der Musik zu. »Wie kommst du bitte auf den, wenn in meinem Horoskop irgendein Blödsinn von zupackendem Liebesglück steht?«
»Deine Augen haben geleuchtet, als du von ihm erzählt hast. Gestern und eben gerade schon wieder. Außerdem hast du gesagt, er wäre nicht unsympathisch und attraktiv.«
»Aber sein zweiter Name ist Tollpatsch!«
»Na und? Das kann doch ganz niedlich sein. Außerdem passt das doch perfekt: Das Liebesglück reicht dir die Hand, weil essonst nämlich den Abhang hinunterfällt. Da musst du einfach zugreifen.« Sie lachte.
Jasmin musste auch lachen. So betrachtet, ergab die Sache durchaus einen Sinn.
»Wie ist denn sein erster Name?«
»Keine Ahnung, den hat er mir nicht verraten.«
»Habt ihr euch denn nicht unterhalten?«
»Doch, das haben wir. Eine ganze Weile sogar.« Jasmin erzählte von seinem plötzlichen Auftauchen, seiner Rückwärtsrolle und von ihrem Gespräch. Sie erwähnte auch, dass er sie durchaus nach ihrem Namen und überhaupt nach einer Menge Dinge gefragt, von sich selbst aber wenig preisgegeben habe.
»Aha!«
»Was ›aha‹?«
»Du interessierst ihn.«
»Blödsinn«, wehrte Jasmin ab. Sie musste sich aber eingestehen, dass sie den Gedanken nicht unangenehm fand.
»Das ist ein Ding!« Gabi schlug mit dem Handrücken auf die aufgeschlagene Tageszeitung.
»Hat Monsieur Fromage einen anderen Architekten engagiert, um seinen Anbau zu entwerfen?« Jasmin nahm einen Schluck Kaffee und sah ihre Freundin an.
Die ignorierte die Frage. »Seit Wochen ist auf der Insel ein Gauner unterwegs, der sich immer mal wieder Kunstgegenstände unter den Nagel reißt«, erklärte sie. »Immer nur das Teuerste und Beste, versteht sich. Die Polizei hat erst vermutet, dass es jemand vom Festland ist, der nach Usedom kommt, zuschlägt und wieder verschwindet. Aber jetzt glauben sie, dass es ein Einheimischer sein könnte, der sein Diebesgut nur schnell auf das Festland verkauft.« Sie nahm den Artikel zur Hand. »Es besteht auch die Möglichkeit, dass es sich um eine Bande handelt, die auf ein ebenso
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