Der Sommer deines Todes
geschossen.»
«Liz Braud hat sie abgezogen. Sie versuchen sich wohl abzusetzen, und sie sind zur Fahndung ausgeschrieben. Wir können also zuschlagen. Es dauert nicht mehr lange, bis diese Geschichte ein Ende hat, Leute. Los jetzt.»
Guys aufmunternde Worte versetzen Mac und Fremont in Hochstimmung.
Dathi liest von meinem Handy die Routenbeschreibung ab. Wir haben sie bei Google Maps in einem Internetcafé in einem Dorf, dessen Name mir entgangen ist, heruntergeladen. Unser Ziel liegt irgendwo außerhalb von Olbia. Laut Macs SMS werden Mary und Ben östlich von Golfo Aranci festgehalten. Das Städtchen liegt in einer Bucht auf einer vom Tyrrhenischen Meer umspülten Landzunge. Als ich Dathi darüber in Kenntnis setze, ruft sie: «Hurra!»
«Mac möchte, dass wir warten, bis er dort eintrifft», erkläre ich, «was nicht lange dauern wird.»
«Mac träumt wohl», konstatiert sie mit einem schelmischen Grinsen. Meine Tochter kennt mich gut: Ich muss Mary und Ben endlich wiedersehen und werde natürlich nicht warten.
«Bist du sicher, dass das die richtige Straße ist?» Je weiter wir fahren, desto mehr entfernen wir uns von der Zivilisation, was meiner Verfassung nicht förderlich ist.
«So steht es da nun mal.» Sie schaut aus dem Fenster. «Und außerdem gibt es hier weit und breit keine andere Straße. Oder siehst du eine?»
«Nein.»
Die Via Cala Moresca, eine schmale Fahrbahn zwischen Meer und Wildnis, scheint ins Nirgendwo zu führen. So weit das Auge reicht, ist auf diesem asphaltierten Weg kein Straßenschild, keine Kreuzung zu erkennen.
«Schau mal. Dort!», ruft Dathi aufgeregt und reckt den Kopf.
Hinter einer Rechtskurve gabelt sich der Weg.
«Ich glaube, ich erkenne ein Haus», ruft Dathi, «dort drüben, siehst du es? Und zwar genau dort, wo es laut der Wegbeschreibung sein soll.»
Hinter einer Baumgruppe kann man ein niedriges Gebäude ausmachen. Ohne zu überlegen, biege ich nach links ab.
Während der Hubschrauber ziemlich hart auf steinigem Grund unweit von Golfo Aranci aufsetzt, presst Mac den Rücken fest gegen den Sitz. Sein Blick schweift über den halb vertrockneten, mit niedrigem Gestrüpp bewachsenen Landstrich zwischen Stadt und Meer. Etwa dreißig Meter weiter vorn erspäht er eine staubige Straße, auf der ein schwarzer Alfa Romeo mit rotem Streifen mit eingeschaltetem Motor wartet. Hinter dem Steuer wartet ein Mann.
Wir erreichen das einstöckige Gebäude, wo auch die andere Straße endet, die ich an der Gabelung nicht genommen habe. Wie es aussieht, führen in diesen Fall buchstäblich mehrere Wege zum Ziel. Sehr praktisch, wenn man sich einmal schnell vom Acker machen muss.
Gitter aus weiß lackiertem Schmiedeeisen sichern alle Türen und Fenster. Ein aufs Meer hinausgehendes Fenster steht offen, doch mein Gefühl sagt mir, dass das Haus leer ist. Diese tödliche Stille, die hier herrscht, macht mich erst richtig nervös.
Ich öffne die Fahrertür und will gerade aussteigen, als ein Schuss ertönt und unsere Windschutzscheibe zerspringt. Die Kugel bohrt sich in die Lederkopfstütze und reißt einen tiefen Krater in die Polsterung, wo eben noch mein Kopf war.
«Runter!», warne ich Dathi, bevor die zweite Kugel einschlägt.
Wir verkriechen uns unter dem Armaturenbrett. Die Person, die auf uns schießt, geht über den Kies und kommt auf uns zu.
«Karin», flüstert Dathi verzweifelt, «Karin.»
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Falls der Typ uns findet, werden wir sterben. Und er wird uns finden. Der Mann bewegt sich mit langsamen, selbstsicheren Schritten. Er hat in diesem Spiel die Oberhand und kann sich Zeit lassen.
«Ich dachte, die Wachen sind weg», flüstert sie.
«Ich auch.»
Wir merken, wie er den Kotflügel berührt.
Und dann … pfeift eine weitere Kugel über uns hinweg.
«Bist du okay?», wispere ich.
«Ja.»
Schritte. Männerstimmen. Als mir klar wird, dass ich Englisch höre, stoße ich vor Erleichterung einen Seufzer aus.
«Karin? Dathi?»
Macs Stimme ist Balsam für meine Seele. Ich richte mich auf und sehe, wie er sich in das Cabrio beugt und mich anstarrt. Ungeachtet seines Aussehens – er wirkt erschöpft, unrasiert und sorgenvoll – kann ich beim Anblick meines Mannes, den ich zweiundsiebzig Stunden schmerzlich vermisst habe, vor Freude kaum an mich halten. Auf der anderen Seite steht Fremont und hilft Dathi aus dem Cabrio. Und dann ist da noch ein blonder Mann, den ich nicht kenne. Er ist anscheinend kein Italiener,
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