Der Sommer deines Todes
Erdtönen gleicht. Zum Schutz gegen den Rotorlärm trägt er eine Art Kopfhörer. Stünde ihm die Angst nicht ins Gesicht geschrieben, hätte man meinen können, dass er zum Zeitvertreib Musik hört. Was geht diesem Jungen, der auf einmal viel erwachsener wirkt, durch den Kopf? Was empfindet er in diesem Moment? Fremont ist alles andere als dumm und ahnt gewiss, dass die Suche nach seiner Mutter nicht unbedingt glücklich endet. Dabei darf man nicht vergessen, welche Faktoren ihn geprägt haben: Hautfarbe, anonymer Samenspender, eine hingebungsvolle, aber eben auch unorthodoxe Mutter, die nach ganz eigenen Regeln lebt. Fremonts suchender Blick spricht Bände. Der Junge hat nur einen Wunsch: Er möchte seine Mutter, die ihn über alles liebt, wiedersehen. Und Mac sehnt sich von ganzem Herzen nach Ben. Erst wenn sie ihre Lieben gefunden haben, werden sie zur Ruhe kommen können.
Der Pilot dreht ab, fliegt an der Küste entlang. Unter ihnen taucht eine Ansammlung von Gebäuden auf. Die Häuser sehen aus, als wären sie willkürlich an einen Steilhang mit Meerblick gestellt worden.
«Da unten ist Olbia», brüllt Guy de Luca.
Mac und Fremont, die nichts verstanden haben, lüften eine Kapsel ihres Gehörschutzes. «Olbia», wiederholt Guy.
Fremont richtet den Blick nach unten, konzentriert sich auf den Landstrich, den sie überfliegen, und sieht nichts, das ihm bekannt vorkommt.
Eine Viertelstunde später landen sie – ein Privatdetektiv, ein FBI -Agent, ein Carabiniere und ein nach außen hin stoischer Teenager – in Palau, um von dort aus zu Liz Brauds L’Hotel del Riso e dell’Oblio zu fahren. Lachen und Vergessen, was für ein Hohn. Schon bald wird dir das Lachen vergehen und das Vergessen schwerfallen, denkt Mac, als er aus dem Hubschrauber auf die sonnenverbrannte Erde springt.
Auf dem Flugfeld warten zwei schwarze Alfa Romeo mit roten Streifen. Vier Carabinieri harren in ihren Dienstfahrzeugen aus und warten, bis die Hubschrauberrotoren stillstehen.
Mac und Fremont steigen in den ersten Wagen und nehmen auf der Rückbank Platz, Guy de Luca hält auf ein anderes Fahrzeug zu. Auf der Fahrt wird kein Wort gewechselt. Niemand hat ein Auge für die Schönheit der Landschaft. Alle stellen sich innerlich auf das ein, was sie am Ende der Fahrt erwartet.
Sie erreichen die Hotelzufahrt, rollen gemächlich den von hohen Palmen gesäumten Kiesweg hinunter und halten vor dem herrschaftlich anmutenden, pinkfarben gestrichenen Hotel. Am Horizont glitzert das smaragdgrüne Meer. Kleine weiße Wolken ziehen vorbei. Mac sieht zu Fremont hinüber, dessen Hände auf dem Schoß liegen und zittern.
«Alles wird gut», beruhigt er ihn, ohne zu wissen, ob er recht behalten wird, und legt seine Hand auf die des Jungen. Als Fremont seine Hand wie ein kleines Kind fest umklammert, wird Mac ganz schwer ums Herz. Sollte es ihnen nicht gelingen, Mary oder Ben zu retten, werden Fremont und auch er (wieder) einen herben Schicksalsschlag erleiden. Mac, dessen Eltern ermordet wurden, kann sich nicht vorstellen, dass er jemals in der Lage sein wird, den Verlust seines einzigen leiblichen Kindes zu verwinden. Dazu ist er einfach zu alt. In dem Moment begreift er, dass Fremont seine Hand nicht nur aus Dankbarkeit drückt. Der Junge möchte ihm damit zu verstehen geben, dass er nicht allein ist.
Die Fahrzeuge parken vor dem Hotel. Ein Gärtner hört auf, den Kies zu harken, und hebt neugierig den Kopf. Die vier Polizisten, Guy, Mac und Fremont steigen aus. In der offenen Eingangstür steht eine junge Frau mit kurzen dunklen Haaren, die ein durchsichtiges himbeerrotes Kleid über einem weißen Bikini trägt, und wirft ihnen einen abschätzigen Blick zu. Mac erkennt Blaine Millerhausen von dem Foto, das Mary ihm auf seinem Beobachtungsposten auf der Madison Avenue geschickt hat.
Sie trägt einen Diamantring an einem Zeh, der aufblitzt, als sie auf dem Absatz kehrtmacht und im Hotel verschwindet.
Was wird passieren, überlegt er, während er zusammen mit den Polizisten und Guy de Luca die Stufen hochgeht, wenn Cathy Millerhausen auf die Einhaltung ihres Ehevertrages pocht und Blaine damit um einen Großteil ihres Erbes bringt? Und auf einmal begreift er, um was es hier wirklich geht: Geld.
Im Grunde genommen ging es von Anfang an um die Aufteilung des Vermögens.
Wie oft sind ihm schon Geschichten zu Ohren gekommen, wo es einen Interessenkonflikt zwischen der ersten Ehefrau und deren Kindern und der zweiten Gattin und deren Nachwuchs
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