Der Sommer deines Todes
eine Welle von Gerüchten auslösen, die die zukünftige Jury negativ beeinflussen.
Er lässt die Zeitung sinken. Nettes Mädchen aus einem Vorort, das Fußball gespielt und nach Aussagen von Freunden keine Drogen genommen hat, lässt sich mit einem Mörder ein. Das ergibt überhaupt keinen Sinn, aber er hat schon Schlimmeres gehört und gesehen. Er kann sich glücklich schätzen, dass er sich mit diesem Problem nicht herumschlagen muss. Dennoch fällt es ihm schwer, nicht daran zu denken – an das Mädchen, an seine Eltern, an das Gefühl der Leere, das einen überkommt, wenn ein Leben gewaltsam beendet wird, nur weil jemand seine Wut oder seine Gier nicht im Griff hat.
Mit lautem Quietschen fährt der Zug in den Bahnhof ein. Mac schiebt seinen Koffer auf den Bahnsteig, wo ein Teenager mit Irokesenschnitt und Ghettoblaster – so ein Ding hat Mac seit zehn Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen – die Station beschallt. Neben ihm bewegt sich ein Mädchen mit Hotpants, knappem T-Shirt, königsblauem BH und silbernen Turnschuhen, als würde sie vortanzen. Die stark verzerrte Musik verstärkt Macs Kopfschmerzen, die sich langsam wie eine Migräne anfühlen.
Die Sonne auf der Bedford Avenue ist grell und heiß, aber längst nicht so unerträglich wie auf Sardinien. Mac denkt an Karin, holt sein Handy heraus, rechnet die Zeitverschiebung aus und drückt ihre Kurzwahltaste: Auf Sardinien ist es acht Uhr abends.
«Bist du zu Hause?», fragt sie ihn aus der Ferne.
«Ja, aber die Rossis waren nicht da und sind auch nicht ans Telefon gegangen.»
«Und nun?»
«Jetzt bin ich auf dem Weg zu Dash. Billy, dessen Wohnung gerade renoviert wird, wohnt vorübergehend bei ihr.»
«Bei Ladasha?» Sie lacht. «Wie geht es dir?»
«Ich bin müde, aber ansonsten ganz okay. Und wie ist es bei dir?»
«No, grazie», sagt sie zu jemand anderem. «Sorry, ich bin gerade in einem Restaurant in Cagliari. Ich habe in Mario Rossis Arbeitszimmer ein Streichholzbriefchen von diesem Laden gefunden, und da ich eh irgendwo essen musste, bin ich hier hingefahren.»
«Und?»
«Ich bin den ganzen Tag rumgelaufen und habe jedem x-Beliebigen das Foto von Mary und den Kindern gezeigt. Reine Zeitverschwendung.»
«Was hat Enzio Greco gesagt? Gibt es was Neues?»
«Er meinte, unser Dante vom Carrefour-Schlüsseldienst hätte einen anderen Nachnamen.»
«Aber der Typ im Supermarkt hat doch …»
«Ich weiß. Das habe ich Greco auch gesagt. Er denkt, der Mann hätte uns nicht verstanden oder wir ihn nicht.»
«Kann schon sein.»
«Seltsam ist nur, dass ich auf meinem Streifzug durch die Stadt nirgendwo ein Vermisstenplakat gesehen habe. Und in den Lokalnachrichten wurde auch nichts über die Suche gebracht. Meiner Meinung nach hat diese Geschichte bei Greco nicht oberste Priorität. Dieser Typ gibt mir echt Rätsel auf.»
«Setz ihn stärker unter Druck, das kannst du gut.»
«Sehr witzig, aber genau das werde ich auch tun.»
Ein kleiner Chinese versucht, Mac eine Broschüre von einem Massagesalon in die Hand zu drücken. Mac winkt ab, geht weiter, zieht seinen Koffer hinter sich her und konzentriert sich auf das Gespräch mit Karin. Er biegt in die Greene Avenue und hält dort nach Ladashas Hausnummer Ausschau.
«Morgen werde ich Liz Braud einen Besuch abstatten», berichtet Karin.
«Warte damit noch, bitte. Ich will nicht, dass du dich in Gefahr bringst.» Ihr Schweigen kann alles Mögliche bedeuten. «Jetzt mal im Ernst –»
«Wie war der Flug?», fällt sie ihm ins Wort und gibt ihm auf diese Weise zu verstehen, dass sie sich von ihrem Entschluss nicht abbringen lässt. Aber vielleicht ist es auch ein kluger Schachzug, wenn sie ohne Vorankündigung bei Liz Braud auftaucht, ihr ein paar Fragen stellt und abwartet, was Millerhausens Exfrau darauf antwortet.
«Ich musste in Rom die ganze Nacht auf den Anschlussflug nach New York warten. Da hätte ich genauso gut bei dir übernachten können.»
«Nur dass wir da auch kein Auge zugetan hätten.»
Es tut ihm in der Seele weh, dass sie allein in dem Haus in Capitana ist. Er kann sich nur zu gut vorstellen, wie groß ihre Verzweiflung ist. Hat sie zu viel getrunken? Oder im Netz recherchiert und sich hinterher noch mieser gefühlt? Hoffentlich ist sie nicht mit dieser unberechenbaren Klapperkiste auf den tückischen Straßen durch die dunkle Nacht gekurvt.
«Fährt der Wagen noch?»
Nach kurzem Zögern antwortet sie: «Ja.»
«Ist der Motor wieder ausgegangen?»
«Nein, alles in
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