Der Sommer deines Todes
gelangen, wie lästig der Verkehr ist, dass zu viele Autos unterwegs sind, dass die Welt überbevölkert ist. Und als sie das Sendegebiet des öffentlichen Rundfunks verlassen und nur noch Lokalsender empfangen, wo zu viel Werbung läuft, schalten sie entnervt das Radio aus.
Als sie eine Stunde später vor Ashton Manor vorfahren, hat die Nachmittagssonne noch nichts von ihrer Kraft verloren. Die lange Auffahrt endet vor dem Haus in einem Halbkreis, wo Billy hinter einem mitternachtsblauen BMW parkt.
Eine Haushälterin in Uniform öffnet ihnen die Tür, was Mac überrascht. Er hätte gedacht, dass Cathy Millerhausen auf derlei Dinge keinen Wert legt, aber er hat die Frau ja auch erst einmal getroffen.
«Mrs. Millerhausen erwartet uns», erklärt Mac der Frau, die ihn an seine verstorbene Großmutter Rose erinnert, nach der seine Schwester benannt wurde. Die Ähnlichkeiten zwischen der Haushälterin und Grandma Rose sind nicht zu übersehen: klein, stämmig, graues, lockiges Haar, keine Spur von Make-up und eine
So bin ich nun mal, ob es dir passt oder nicht
-Haltung.
Sie wendet den leicht irritierten Blick von Billys Augenklappe ab und sagt: «Mrs. M ist mit den Jungs hinten. Folgen Sie mir.»
Das Haus ist eine eigenwillige Mischung aus Eleganz und Pomp. Es wirkt wie das Werk eines unentschlossenen Innenarchitekten, der sowohl dem Geschmack einer distinguierten Dame als auch dem eines großkotzigen Baulöwen gerecht werden will. Am Fuß der breiten, geschwungenen Treppe in der Eingangshalle ist ein riesiger Spiegel mit schwerem Goldrahmen angebracht. Professionelle Porträtfotos von den Millerhausen-Zwillingen hängen an den Wänden. Auf dem Weg durch das weitläufige Foyer fällt Mac auf, wie ähnlich sich Bobby und Ritchie als Babys waren und wie groß die Unterschiede heute sind. Jetzt, im Alter von acht Jahren, wirkt ein Bruder munter und aufgeweckt, der andere aufgrund seines Gewichts behäbig und geistesabwesend. Von Godfrey Millerhausens erstem Kind, seiner Tochter, gibt es hier kein Foto. Als sie an dem großen Tisch mit einem riesigen Bouquet weißer Lilien vorbeikommen, erinnert ihr süßlicher Duft Mac an Karin, die Lilien über alles liebt, solch einem üppigen Strauß aber vermutlich nichts abgewinnen könnte.
Hinter dem Haus vergnügen sich Cathy und die Jungs an einem nierenförmigen Pool, dem Herzstück der etwas abseits gelegenen Rasenfläche. Cathy, in Badeanzug und einem durchsichtigen Strandkleid, beobachtet Bobby, der gekonnt einen Köpfer vom Sprungbrett macht. Ritchie sitzt am Beckenrand, die Füße im Wasser, und klatscht unbeholfen in die Hände.
«War das nicht prima, Ritchie?», trällert Cathy ihrem Sohn zu.
Er nickt, ohne in ihre Richtung zu schauen. Sie lächelt, bemerkt ihre Gäste, erstarrt und steht auf, um sie willkommen zu heißen.
«Anya, würden Sie uns bitte Eistee bringen?», ruft sie ihrer Haushälterin zu.
Mac nickt zum Gruß. «Das hier ist mein Freund, Detective Billy Staples.»
Cathy mustert Billys schwarze Augenklappe.
Bobby schwimmt behände zur nächsten Leiter. Dieser gertenschlanke Junge ist bestimmt in allem gut, was er tut, denkt Mac. Allein so kann er die Unzulänglichkeiten seines korpulenten Zwillingsbruders wettmachen, der die Besucher keines Blickes würdigt und nur Augen für Bobby hat.
«Ahoi!», ruft Bobby. «Mom, du hast gar nicht erzählt, dass heute ein Pirat kommt.»
«Weil ich es nicht gewusst habe.»
«Ist er aus Somalia?»
Aus dem Augenwinkel heraus kriegt Mac mit, wie sich Billy bemüht, keine Reaktion zu zeigen. Wahrscheinlich bekommt man in Greenwich nicht allzu viele Schwarze mit Augenklappe zu Gesicht, aber der Junge geht auf eine teure Schule und müsste dort eigentlich gelernt haben, wie man sich benimmt. Andererseits bildet sich – vor allem bei den Reichen – Arroganz schon früh heraus.
«Wir sind Freunde deiner Mutter», sagt Mac. «Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.»
«Bobby, geh mit Ritchie rein und zieht euch um, ja?»
«Mom …»
«Ich sagte …»
«Okay. Komm, Ritchie.»
Die nassen Jungs stapfen ins Haus, und Cathy sieht ihnen nach, bis sie drinnen verschwunden sind. «Ich denke nicht, dass sie etwas verraten werden. Und falls doch, erzähle ich Godfrey eben, dass wir neue Gärtner haben. Dann hakt er nicht weiter nach.»
«Dem entnehme ich, dass er nicht hier ist», meint Mac.
«Arbeitet angeblich das ganze Wochenende in der Stadt.» Sie verdreht die Augen. «Aufs Lügen versteht er sich. Er hat
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