Der Sommer der Frauen
eintragen. Zweitens, wie du losgerannt bist, um ihm, als er Nasenbluten hatte, einen frischen Schlafanzug anzuziehen und die Bettwäsche zu wechseln. Drittens, wie geduldig du mit Alexa geblieben bist, wo jeder andere sie schon längst zurechtgewiesen hätte. Viertens, wie nett du zu Pearl bist, weil du weißt, wie wichtig es für sie ist, gebraucht zu werden. Fünftens, wie wunderbar du dich um Lolly und um die Pension kümmerst. Ich kann gerne weitermachen.»
Isabel fing an zu weinen und vergrub das Gesicht in den Händen. «Ich dachte, ich schaffe das. Ich dachte, ich kann Edward einfach so loslassen, obwohl er fünfzehn Jahre lang das Wichtigste in meinem Leben war. Jeden Morgen allein hier aufwachen und Dinge tun, die wirklich zählen – Lolly unterstützen und die Pension führen. Und mich in jemand Neues verlieben – obendrein in jemanden mit Kindern. Aber dann ist das mit Emmy passiert. Und ich musste daran denken, was Edward gesagt hat und –» Isabel seufzte. «Das hätte doch viel schlimmer enden können, June. Emmy hätte auf die Straße vor ein Auto laufen können. Elvis hätte böse werden und sie beißen können. Jemand hätte sie entführen können –»
«Es kann alles immer auch viel schlimmer kommen. So kann man aber nicht leben, Izzy. Man braucht einfach … Vertrauen, nehme ich an. In sich selbst, in andere Menschen. Vertrauen darauf, dass die Dinge funktionieren, weil sie einem wichtig sind und weil man sich Mühe gibt. Mehr können wir nicht tun. Alles andere hieße aufgeben und den Sorgen den Sieg überlassen. Das geht doch nicht.»
«Und wie geht das, sich keine Sorgen machen?»
«Indem man sich selbst vertraut. Bitte versuch es.»
Isabel holte tief Luft und brach sich ein Stückchen Muffin ab – Zimt mit weißer Schokolade. Da wusste June, dass sie zu ihrer Schwester durchgedrungen war, wenn auch nur ein kleines Stückchen.
*****
An diesem Abend versammelten sich June, Isabel, Kat und Lolly erneut zu einem spontanen Kinoabend in Lollys Zimmer. Sie waren alle derart düsterer Stimmung, dass Lolly June den Auftrag erteilte, einen Film auszusuchen, der ergreifend und berührend war, etwas, das richtig zu Herzen ging. June sah Lollys DVD -Sammlung durch und hoffte, dass der Film dabei war, den sie suchte. Ja, da war er.
Kramer gegen Kramer.
June hatte ihn vor langer Zeit mal im Pay- TV gesehen, als sie mit Grippe im Bett lag.
Meryl Streep verlässt Dustin Hoffman und ihren fünf- oder sechsjährigen Sohn, weil ihr Mann ein egoistischer Workaholic ist und sie die Nase voll hat. Er ist gezwungen, sich ab sofort selbst um den Jungen zu kümmern, und entdeckt, was es heißt, Vater zu sein. Als er endlich realisiert, dass nichts auf der Welt wichtiger ist, als seinem Sohn ein guter Vater zu sein – nicht sein Beruf und auch nicht er selbst –, kommt Meryl zurück, um den Jungen zu holen. Doch Dustin gibt ihn nicht her. Er musste kämpfen, um zu einem echten Vater zu werden, und jetzt kämpft er ums Sorgerecht. Aber die Mutter gewinnt. Als Meryl jedoch erkennt, wie sehr Dustin sich verändert hat, wie sehr ihr Sohn seinen Vater liebt und braucht, gibt sie nach und erlaubt den beiden, zusammenzubleiben.
Vielleicht würde dieser Film Isabel helfen nachzuvollziehen, weshalb Griffin so wütend war und sich weigerte, sie zurückzurufen. Dass es mehr mit seinen Ängsten als mit ihr zu tun hatte. Und vielleicht würde Isabel merken, dass sie eine verdammt gute Mutter wäre – weil ihr Bauchgefühl, ihre Liebesfähigkeit, die Person, die sie tief im Inneren immer schon war, genau das schon lange bewiesen hatten.
Isabel kam mit zwei Schüsseln Popcorn ins Zimmer. «Alle bereit?»
Kat machte es sich wieder bei ihrer Mutter auf dem Bett bequem, in eine Kaschmirdecke gehüllt, die sie zur Verlobung bekommen hatte. Mit traurigem Blick reichte Isabel ihr eine Riesenschüssel Popcorn für Lolly und sie, machte das Licht aus und setzte sich neben ihre Schwester. Für die Füße teilten sie sich einen Schemel.
«Hast du immer noch nichts von Griffin gehört?», flüsterte June und nahm sich eine Handvoll Popcorn aus der Schüssel auf Isabels Schoß.
Isabel schüttelte den Kopf. «Werde ich wohl auch nicht mehr. Ich habe ihn gestern Abend zweimal angerufen und heute Morgen schon wieder.»
«Der meldet sich schon noch», sagte June. «Er steht einfach unter Schock. Das hat nichts mit dir zu tun.»
«Das wäre alles nicht passiert, wenn ich die Mädchen nicht allein gelassen hätte. Auch wenn es
Weitere Kostenlose Bücher