Der Sommer der Frauen
Marley und Kip vor ihr auf der Veranda, den Finger schon auf dem Klingelknopf. Kip hatte sich nicht verändert – er war immer noch schlank und gutaussehend in seiner typischen Traineruniform aus grauer Basketballhose und schwarzem, langärmeligem T-Shirt. Gott, würden die beiden ein hübsches Baby bekommen!
Marley aber sah völlig verändert aus. Die großen, runden Augen strahlten. Und sie lächelte über das ganze Gesicht. «June, hoffentlich ist es okay, dass wir hier einfach so reinschneien», sagte sie. «Kommen wir ungelegen? Wolltest du gerade weg?»
Wir
, dachte June und sah von ihr zu ihm. Hatte er sich berappelt? So ernst, wie Kip sie ansah, war sie sich nicht ganz sicher.
«Ich bin auf dem Weg zum Buchladen, um mich mit Henry zu treffen», sagte sie. Sie sah, dass die beiden offensichtlich nicht mit dem Auto gekommen waren. «Wollen wir zusammen nach unten laufen?»
Sie machten sich auf den Weg, und Kip legte im Gehen den Arm um Marleys Schultern. June sah Marley mit großen Augen an. Ihre Freundin strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
«Ich wollte mich bei dir bedanken, weil du für Marls da gewesen bist, June», sagte Kip schließlich. «Sie sagt, du wärst ihr Fels in der Brandung gewesen, im Gegensatz zu mir. Ich weiß das sehr zu schätzen. Ich habe mich immer noch nicht ganz daran gewöhnt. Aber ich weiß, dass ich Marley liebe, und das ist für den Augenblick genug.»
June lächelte. Sie mochte es, wenn das Leben unkompliziert war.
«Ich war völlig fassungslos, als er gestern Abend plötzlich bei mir vor der Tür stand», sagte Marley. «Wir haben stundenlang geredet. Wir haben sogar schon angefangen, Namenslisten zu machen.» Kip und Marley lächelten einander selig an. «Ich weiß echt nicht, wie ich dir danken soll, June. Ich muss die ganze Zeit daran denken, dass du damals allein warst. Ich hoffe nur, du hattest auch jemanden, der so für dich da war wie du für mich.»
«Hatte ich.» Sofort kam ihr das Bild von Henry in den Sinn, der ihr verbot, schwere Bücherkisten zu heben. Ihr fünf Packungen Salzstangen brachte, als ihr so schlecht war, dass sie nicht mehr aus dem winzigen Klo im Buchladen herauskam. Er war auch der Erste, der es mitbekommen hatte, als damals ihre Wehen einsetzten, weil sie gerade bei der Arbeit gewesen war. Er war es gewesen, der Lolly angerufen hatte. Er war es gewesen, der vor dem Kreißsaal gewartet hatte, nervös auf- und abgehend, als sei er selbst der werdende Vater. Er war es gewesen, der gesagt hatte: «Charlie ist absolut perfekt, June, so wie du.»
June traten Tränen in die Augen, und sie blinzelte sie weg. Und jetzt hatte er ihr gestanden, dass er sie liebte, und sie rannte einem Traum hinterher, den sie nicht loslassen konnte.
Weil die Verkörperung all ihrer Hoffnungen direkt vor ihr stand. Das glückliche Paar.
Johns Eltern werden mich anrufen, mir sagen, wie ich ihn erreichen kann, und dann bekomme ich auch meine Chance
, sagte sie zu sich, während sie beobachtete, wie Marley und Kip sich verliebte Blicke zuwarfen.
Im Hafen angekommen, verabschiedete sie sich mit einer Umarmung von den beiden, erinnerte Marley daran, dass sie sich nächste Woche gemeinsam auf Kinderwagensuche machen wollten und sah ihnen nach, wie sie Hand in Hand davongingen.
Möglichkeit
war Junes Lieblingswort, und hier war sie mal wieder, in greifbarer Form.
Eine hoffnungsvolle Ruhe machte sich in ihrem Inneren breit, als sie den Buchladen erreichte und am Haus vorbei nach hinten auf den Steg ging. Wenn Marley und Kip wieder zueinandergefunden hatten, dann gab es diese Möglichkeit auch für sie und John.
Es war einer dieser herrlichen Septemberabende, an denen Maine sich in seiner ganzen Pracht entfaltet, wenn die laue, von Blumenduft erfüllte Nachtluft einen einhüllt, dabei eine erste Ahnung von Herbst mit sich bringt und es gerade eben so kühl ist, dass man froh um das leichte Strickjäckchen ist, das man sich um die Schultern legen kann.
Henry stand auf dem Steg neben seinem Hausboot, wie er es gesagt hatte, die Hände in den Hosentaschen vergraben, den Blick hinaus aufs Wasser gerichtet.
«Hallo», sagte June im Näherkommen. «Ich bin froh, dass du angerufen hast. Ich muss dir nämlich auch was erzählen.»
Er drehte sich um und sah sie lange an, und in seinem Blick lag etwas Fremdes, etwas, das sie noch nie an ihm gesehen hatte.
Wollte er sie rauswerfen? Weil er es nicht mehr ertragen konnte, mit ihr zusammenzuarbeiten?
«Henry?»
«Komm, lass uns
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