Der Sommer der Frauen
Treppe wieder hinunterhalf. June sah ein bisschen besser aus. Was auch immer Lolly ihr erzählt haben mochte, es hatte offensichtlich geholfen.
Während die Krankenschwester immer wieder ins Zimmer kam, um diverse Werte zu messen, lag Kats Mutter auf dem gepolsterten Liegesessel und blätterte gemächlich in einem Hochzeitsmagazin. Mit jeder Seite, die sie umschlug, schien sie mehr Energie zu gewinnen. «Oh, Kat, sieh dir das mal an.»
Kat zog ihren Stuhl näher an den Sessel ihrer Mutter heran und betrachtete das Bild. Es zeigte ein Model in einem wunderschönen, sehr schlichten Brautkleid. Hätte Kat dieses Kleid im Vorbeigehen in einem Schaufenster gesehen, sie wäre auf der Stelle stehen geblieben. Es bestand aus weißem Satin, war ärmellos und etwa wadenlang und erinnerte im Stil ein bisschen an die Fünfzigerjahre. Um die Empire-Taille lag ein zartes, blassblaues Seidenband. Das Kleid war wie geschaffen für eine intime Hochzeit im Kreis der Familie. Sie konnte sich tatsächlich selbst in diesem Kleid sehen. Ohne allzu große Mühe.
«Es ist perfekt, Mom! Du wusstest schon immer, was mir gefällt, stimmt’s?»
«Das ist nicht so schwer zu erraten. Du magst es schlicht. Ohne viel Gedöns.»
Und trotzdem verkomplizierte sie sich ihr Leben so sehr …
Plötzlich wurden Lollys Augen glasig, sie schlug sich die Hand vor den Mund und bedeutete Kat, ihr die Spuckschüssel zu bringen. Kat konnte nicht mit ansehen, wie sehr das Zeug, das ihrer Mutter doch helfen sollte, ihr zusetzte. Wie um Himmels willen sollte sie nächste Woche die zweite Chemotherapie durchstehen, wo sie sich noch nicht einmal von der ersten erholt hatte?
Als es vorbei war, ließ Lolly sich erschöpft zurücksinken, einen feuchten Schweißfilm auf der Stirn. Kat eilte nach nebenan ins Bad, um ein nasses Tuch zu holen. Sie tupfte ihrer Mutter Stirn und Wangen ab und strich ihr sanft die schweißnassen Strähnen aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten. Plötzlich hatte sie einen ganzen Strang graublonder Haare in der Hand. Sie brach in Tränen aus.
«Schon gut, Kat», sagte Lolly. «Das geschieht nun mal. Das war zu erwarten. Was ich nicht ausstehen kann, sind die Überraschungen.»
Kat starrte auf die Strähne in ihrer Hand. «Mom, ich liebe dich», sagte sie und überraschte sich selbst damit. Und ihre Mutter offensichtlich auch. Lolly fasste nach Kats Hand und hielt sie fest.
Kat war kurz davor, die Nerven zu verlieren. Sie hatte das dringende Bedürfnis, sich irgendwo zu verstecken, wo sie in Ruhe weinen und alles herauslassen konnte, ihre ganze Angst und Ungewissheit. Nach nebenan ins Bad konnte sie nicht, dort hätte ihre Mutter sie gehört.
Lolly zog eine Packung Weizencracker aus ihrer Umhängetasche. Ihr Lieblingsgegenmittel bei Übelkeit. «Kat, könntest du mir ein Glas Eistee besorgen? Mit zwei Scheiben Zitrone. Und einem Löffel Zucker.»
«Bin gleich wieder da», sagte Kat, dankbar für die Aufgabe. Sie würde sich auf dem Weg in die Cafeteria für einen Moment auf der Besuchertoilette zurückziehen.
Aber als sie über den Flur eilte, sah sie Matteo, in sein Klemmbrett vertieft, aus einem Patientenzimmer kommen. Sie blieb vor ihm stehen, unfähig, ihre Tränen noch länger zurückzuhalten.
«Kat! Ist mit deiner Mutter alles in Ordnung?»
«Sie ist so schwach und blass, und ihr ist so schlecht! Und eben hatte ich ein ganzes Büschel Haare in der Hand.» Kat merkte, dass sie die Strähne immer noch umklammert hielt und öffnete die Faust. «Ich hasse das! Ich hasse es!» Sie konnte nicht aufhören zu weinen. Er nahm sie bei der Hand und führte sie zu einer Stuhlreihe an der Wand.
Und sie sucht Brautkleider aus und denkt über Vorspeisen nach, und das ist das Einzige, was sie momentan glücklich macht.
Matteo bedeutete ihr mit einer Geste, sich zu setzen, und setzte sich neben sie, ohne dabei ihre Hand loszulassen. «Du darfst nicht vergessen, dass die Nebenwirkungen der Chemotherapie nur temporär sind und dass deine Mutter diese Therapie jetzt braucht.»
«Mir war einfach nicht klar, was das bedeuten würde. Ich dachte, durch die Chemo würde es ihr besser gehen und nicht schlechter. Das ist alles völlig verkehrt. Ich halte das nicht aus!»
Er beugte sich zu ihr, nahm ihr die Haare aus der Hand und wickelte sie in ein Taschentuch. «Das ist nur eine Nebenwirkung.» Er stand auf und warf das Taschentuch in den kleinen Abfalleimer, der am Ende der Stuhlreihe stand. «Und es hilft dabei, ihr Leben zu
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