Der Sommer der Frauen
bewunderte gebührend ihren Ring und führte sie dann in einen Umkleidebereich, in dem ein gemütliches kleines Sofa stand.
«Lolly, Sie nehmen jetzt einfach hier Platz», sagte Claire und deutete auf das weinrote Sofa. «Und Sie gehen in die Kabine, Kat, probieren das erste Kleid an, und wenn Sie so weit sind, kommen Sie heraus. Ein hübsches Paar weißer Seidenpumps in Ihrer Größe steht auch schon bereit.»
Lolly setzte sich lächelnd hin. «Ich kann es kaum erwarten, dich in einem Brautkleid zu sehen.»
Kat erwiderte das Lächeln, doch plötzlich fing ihr Herz an zu rasen. Sie stand in der Kabine, befühlte die Plastikhülle des ersten Kleides und wusste mit Bestimmtheit, dass sie es nicht anprobieren wollte. Genauso wenig wie das zweite. Oder irgendein anderes. Solche Gefühle gehörten definitiv nicht zum allerersten Besuch in einem Brautmodengeschäft. Als Lizzie sich vor ein paar Monaten verlobt hatte, hatte sie Kat genötigt, sich mit ihr zusammen diverse Episoden einer Reality-Show namens
Say Yes to the Dress
anzusehen, die bei einem berühmten New Yorker Brautausstatter angesiedelt war. Sie sollte sich fühlen wie die Bräute in der Sendung. Aufgeregt. Voller Hoffnung, das richtige Kleid zu finden. Dies sollte eigentlich ein großer, bedeutsamer Augenblick in ihrem Leben sein.
Gestern Abend war sie wie versprochen bei Oliver gewesen, doch anstatt darauf zurückzukommen, dass er sie mit dem Arzt ihrer Mutter beim Händchenhalten erwischt hatte, hatte er einen typischen Oliver aus dem Hut gezogen: Nettigkeit. Er hatte nicht darauf bestanden, dass sie sich erklärte. Er hatte sie einfach in den Arm genommen und festgehalten, und genau das hatte sie gebraucht: die Umarmung ihres ältesten und allerbesten Freundes. Sie waren auf ein Eis in die Stadt spaziert, hatten sich gegenseitig probieren lassen, waren zurück zu ihm nach Hause gegangen, und dann hatte er sie mit der gleichen Leidenschaft wie immer geliebt.
Als Lolly ihr dann heute Morgen mit strahlenden Augen und rosigen Wangen von dem Termin bei der Brautausstatterin erzählt hatte, hatte Kat angesichts ihrer Verlobung wieder diesen Frieden in sich verspürt, der sich schon ein paar Mal in ihr gemeldet hatte. Dies war das Gegengift zu Lollys Krebs; die Chemo raubte ihr die Kraft, und Kats Verlobung gab sie ihr zurück.
Doch als sie jetzt inmitten all dieser Träume in Weiß stand, inmitten all dieser Kleider, die
Für immer und ewig
,
ein Leben lang
und
heilige Gelübde
bedeuteten, war Kat sich ganz und gar nicht sicher, ob sie in der Lage wäre, irgendeine Entscheidung zu treffen, nicht über Saumlängen und schon gar nicht über den Rest ihres Lebens.
Tu so, als hättest du Migräne
, sagte sie sich.
Tu so, als wäre dir schwindlig und falle gegen die Tür. Nur raus aus diesem Laden!
Nur, dass draußen auf dem Plüschsofa vor der Umkleidekabine ihre Mutter saß, zehn Kilo leichter als noch vor zwei Monaten – Lolly Weller, die unromantischste Person der Welt, mit einem Ausdruck puren Glücks auf ihrem blassen, eingefallenen Gesicht.
Kat hörte ein aufgeregtes Keuchen und fuhr herum. «Oh, Kat, komm doch noch mal schnell raus! Sieh dir nur diesen Schleier an!» Ihre Mutter erhob sich, langsam und unsicher, und trat an einen antiken Tisch mit einer Büste. Der kurze Schleier wurde von einem Kopfputz mit winzigen weißen Seesternen und Rosenblüten gehalten. «Der ist einfach unglaublich, Kat, siehst du die Seesterne?»
Ihr Vater hatte Seesterne gesammelt. Seesterne aller Art, vom silbernen Briefbeschwerer bis zu dem Seestern aus Pappmaché, den Kat ihm in der Grundschule zum Vatertag gebastelt hatte. «Wunderschön», sagte Kat und musste an die kleinen goldenen Seesternohrstecker denken, die er ihr geschenkt hatte, «für später, wenn du Löcher in den Ohren hast.» Kat hatte ihre Mutter damals so lange bedrängt, ihr Löcher stechen zu lassen, bis Lolly nachgegeben hatte. Seitdem trug Kat diese Ohrstecker eigentlich immer, und sie trug sie auch heute.
Hallo, Universum? Willst du mir vielleicht irgendwas sagen?
, schickte Kat eine stumme Frage nach oben.
Claire nickte ihrer Mutter aufmunternd zu, Lolly löste behutsam den Schleier vom Kopf der Büste und ging damit zu Kat. Kat senkte das Kinn, damit Lolly ihr den Schleier aufsetzen konnte. Der Kopfschmuck war weder kratzig noch steif, sondern ganz im Gegenteil erstaunlich bequem.
Lolly schlug sich die Hand vor den Mund. «Oh, Kat, sieh dich nur an!» Sie stellte sich hinter ihre Tochter,
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