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Der Sommer der Frauen

Der Sommer der Frauen

Titel: Der Sommer der Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia March
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lief Isabel ihrer Schwester in die Arme. «Er ist im Aufenthaltsraum», sagte June. «Vor zwanzig Minuten habe ich ihm angeboten, nachzusehen, wo du steckst, und dann habe ich ihm erzählt, dass du offensichtlich gerade mit Alexa sprichst. Daraufhin hat er ziemlich unschlüssig die Treppe raufgespäht. Ich glaube, er wusste nicht, ob er sich einmischen soll oder lieber nicht. Schließlich ist er mit einem Seufzer und dem Bier, das ich ihm angeboten habe, in den Aufenthaltsraum verschwunden.»
    Isabel drückte ihrer Schwester die Hand. «Danke, June!»
    Sie betrat den Aufenthaltsraum. Die Ellbogen auf die Beine gestützt saß Griffin vor dem Gemälde der drei Kapitäne. Das Bier stand unberührt auf dem Tisch.
    Als er sie sah, stand er auf. «Was war denn los da oben? Oder sollte ich besser nicht fragen?»
    «Alexa hat sich mir anvertraut. Es hat ein bisschen gedauert, aber dann hat sie sich geöffnet. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass ich ihr dabei helfen konnte, sich ein bisschen besser zu fühlen.»
    Griffin sah sie so überrascht an, dass sie sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte.
    «Was auch immer du gesagt hast, offensichtlich bist du tatsächlich zu ihr durchgedrungen. Danke, Isabel.»
    «Wenn du jetzt hochgehst und mit ihr redest, dann lässt sie es zu, davon bin ich überzeugt. Wir können immer noch spazieren gehen, wenn sie im Bett ist. Oder ein andermal. Geh zu deiner Tochter.»
    Genau das hieß es, Kinder zu haben, dachte Isabel. Komplikationen, Unterbrechungen. Dramen. Ein ständiges Geben und Nehmen. Und jedes Opfer, jeder Verzicht, jeder Herzschmerz wurde mit etwas Magischem und Wunderschönem belohnt.
    Griffin stieg die Treppe hinauf. Isabel stand im Türrahmen und sah ihm nach.
    Dann kam June aus dem Büro, beugte sich nah zu ihrer Schwester und flüsterte ihr ins Ohr: «Und du machst dir Sorgen, du könntest keine gute Mutter sein.»

[zur Inhaltsübersicht]
     17. June
    J une stand im Keller der Pension vor einem verstaubten hölzernen Garderobenspiegel und probierte den orangefarbenen Wollmantel an. Im Kragen hing noch immer ein Hauch des Parfüms ihrer Mutter – das bildete June sich zumindest ein. Sie hatte den Mantel in einem Kleidersack an einem Ständer mit alten Jacken entdeckt. Der knallrote Daunenparka ihrer Mutter. Die braune Fliegerjacke ihres Vaters. Ein paar andere Wollmäntel, an die sie sich nicht erinnern konnte. Lollys vielleicht.
    Ihre Mutter war zehn Zentimeter größer gewesen als June, und der Mantel war ihr ein bisschen zu lang. Bei Isabel würde er perfekt sitzen. June gefiel der Mantel trotzdem, weil er sich wunderschön anfühlte und sie sich darin getröstet fühlte, weil er sie an ihre Mutter erinnerte. June hätte nie gedacht, dass ihr bei ihrer Haarfarbe ein knallorangefarbener Mantel stünde, doch irgendwie brachte die Farbe ihren Teint zum Strahlen und betonte das Grün in ihren Augen. Aber vielleicht war auch das nur Junes Wunschdenken. Jedenfalls machte dieser Mantel sie glücklich. In ein paar Monaten schon würde es draußen empfindlich kühl sein, und dann würde sie diesen Mantel zu ihrem Alltagsstück machen.
    Sie zog ihn wieder aus, hängte ihn zurück auf den Bügel und legte ihn links vom Kleiderständer auf den wachsenden Stapel mit Schätzen. June nahm ein altes Fotoalbum voller Bilder aus der Kindheit der Miller-Schwestern zur Hand. Junes Mutter und Tante Lolly waren in Wiscasset aufgewachsen, einer beschaulichen Kleinstadt in der Nähe von Boothbay Harbor. June setzte sich im Schneidersitz auf den alten Flickenteppich und fing an zu blättern. Sie merkte, dass sie sich vor allem auf ihre Tante Lolly konzentrierte. Ein Bild erregte besonders ihre Aufmerksamkeit: Lolly im fliederfarbenen Ballkleid mit Anstecksträußchen vor dem gelben Holzhaus ihrer Eltern, neben ihr ein gutaussehender Mann.
    Ob das Harrison war? June musste an den geheimnisvollen Mann denken, von dem ihre Tante ihr an dem Tag erzählt hatte, als sie erfahren hatte, dass John tot war. Als Lolly zu ihr hinaufgekommen war, hatte June, wie ein Fötus zusammengerollt, auf dem Bett gelegen. Und hatte nicht aufhören können zu weinen. Nicht aufhören können, aus dem wilden Was-Wenn-Karussell in ihrem Kopf auszusteigen. Nicht aufhören können, an den Verlust ihres Traumes zu denken. An Verlust überhaupt. Verlust schien die einzige Konstante in ihrem Leben zu sein. Trotzdem war sie gerührt gewesen, weil Lolly den mühsamen Aufstieg unters Dach auf sich genommen

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