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Der Sommer der Frauen

Der Sommer der Frauen

Titel: Der Sommer der Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia March
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jeden Abend angerufen. Manchmal hinterließ er ihnen eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Manchmal erzählte er ihnen eine lustige Geschichte über irgendetwas, das er erlebt hatte.
    «Als er am 10 . November bis zum Abendessen noch immer nicht angerufen hatte, wusste ich Bescheid», sagte Eleanor und ließ die Finger sanft auf einem Foto ruhen. «Ich weiß noch, wie ich um Viertel nach fünf den Braten aus dem Ofen geholt habe und mir plötzlich bewusst wurde, dass er nicht angerufen hatte. Normalerweise meldete er sich immer zwischen vier und fünf Uhr nachmittags, weil wir um halb sechs zu Abend essen. Ich weiß noch, dass ich die ganze Zeit die Uhr angestarrt habe. Als der kleine Zeiger die sechs erreicht hatte, wusste ich es. Ich rief in seiner New Yorker Pension an, und der Manager erzählte mir, das Zimmermädchen hätte John um ein Uhr mittags bewusstlos auf dem Boden gefunden, direkt an der Tür, so als wäre er gerade auf dem Sprung gewesen.»
    Ein Uhr mittags. Genau zu der Zeit waren sie und John im Central Park verabredet gewesen.
    «Am Tag davor ging es ihm noch völlig gut. Sehr gut sogar», sagte Eleanor mit rauer Stimme. «Er war ein paar Tage in New Jersey gewesen, weil er den berühmten kleinen Club sehen wollte, in dem Bruce Springsteen seine Karriere begann. Es ging ihm gut. Außerdem klang er, als er uns aus New York anrief, so unglaublich glücklich. Seine Stimme war stark und fest. Aber so ist der Krebs nun mal. Eben noch steht man mit beiden Beinen fest auf der Erde, und im nächsten Moment bricht sich eine Infektion, von der man nicht mal wusste, dass man sie hat –» Eleanor schlug sich die Hände vors Gesicht, und ihr Mann streichelte ihr über den Rücken.
    June hatte keine Ahnung gehabt, dass John krank gewesen war. Keine Ahnung. Und zwar sterbenskrank. Sterbend. Das machte ihr, was Lolly betraf, noch mehr Angst. Sie schloss für einen Moment die Augen, unfähig, zu begreifen, was sie da hörte. «Und jetzt wissen wir endlich, was Juney zu bedeuten hatte», sagte Eleanor schließlich. «Er hat bei seinem letzten Atemzug an dich gedacht. Du musst ihm sehr viel bedeutet haben.»
    June nahm Eleanors Hand, und Johns Mutter lächelte sie an. Und während Charlie die nächste Stunde lang mit seinem Großvater im Garten Federball spielte, erzählte June Eleanor alles über die letzten beiden Tage im Leben ihres Sohnes, wie sie sich auf den ersten Blick ineinander verliebt hatten, wie sie stundenlang miteinander geredet hatten. Als Steven und Charlie aus dem Garten zurückkamen, saßen die beiden Frauen weinend auf dem Sofa, und June musste Charlie noch einmal beteuern, dass es Freudentränen waren.
    «Rate mal!», rief Charlie. «Es gibt noch mehr Namen für meinen Stammbaum! Ich habe einen Onkel! Er wohnt in Kalifornien, aber Weihnachten kommt er nach Maine, und dann darf ich ihn kennenlernen. Und es gibt einen Haufen Großtanten und Großonkel und Cousins und Cousinen! Grandpa Steven schreibt mir alle Namen auf.» Grandpa Steven. June hatte ein Gefühl, als würde ihr das Herz überlaufen. Charlie hatte noch nie jemanden gehabt, zu dem er Grandpa sagen konnte.
    Die Smiths baten sie, zum Mittagessen zu bleiben, und sie verbrachten eine weitere Stunde am Esstisch. June und Charlie erzählten Geschichten von ihrer Familie und aus der Pension. Als sie dann gegen vier Uhr nachmittags wieder ins Auto stiegen, war ein wunderbares Band geknüpft. Charlie winkte ausgelassen, und June war sehr, sehr glücklich.
    *****
    Beim Abendessen hatte Charlie allen von dem Besuch bei seinen Großeltern erzählt, von dem Kater Miles und von den vielen neuen Verwandten auf seinem Stammbaum. Bei Grillhähnchen und Maiskolben, Charlies Lieblingsspeise, von der er vor Aufregung fast keinen Bissen herunterbekommen hatte, hatte er Tante Lolly gefragt, ob seine neuen Großeltern mal zu Besuch kommen dürften, und Lolly hatte geantwortet, sie könne es kaum erwarten, sie kennenzulernen, und sie bekämen selbstverständlich das schönste Zimmer im Haus. Dafür hatte Großtante Lolly von einem sehr glücklichen kleinen Jungen eine sehr große Umarmung kassiert.
    Gemeinsam freuten sie sich auf den Freitagabendfilm,
It’s Complicated – Wenn Liebe so einfach wäre
. Bis auf Lolly kannte keine von ihnen den Film, und sie waren alle in der Stimmung für eine leichte, spritzige Komödie. Zwar schon wieder ein «Affärenfilm», wie Isabel sich ausdrückte, aber wenigstens einer mit verkehrten Vorzeichen, denn das heimliche

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