Der Sommer der Frauen
Zitronen-Eiercreme-Cupcakes. «Mir doch egal, ob ich mein Brautkleid sprenge. Los, her damit!»
Kat lachte. Sie liebte ihre quirlige Freundin Lizzie. Und wünschte, sie wäre sich, was ihr eigenes Liebesleben betraf, genauso sicher, wie Lizzie es zu sein schien. Kat bestäubte eines der noch viel zu warmen Törtchen mit Puderzucker, und Lizzie verschlang es mit einem Bissen. Dann warf sie einen Blick auf die oberste Skizze, und ihr stockte der Atem.
«Oh, Kat, mehr brauche ich gar nicht zu sehen. Das ist perfekt!»
Kat hatte gewusst, dass Lizzie sich für diesen Entwurf entscheiden würde. Fünfstöckig, die einzelnen Etagen in Muschelform, die unterste mit zartem Blattwerk und Schleierkraut verziert. Die perfekte Torte für eine Hochzeit im Sommerhaus von Lizzies Familie auf Peaks Island.
«Ich nehme die Entwürfe mit und zeige sie der Hochzeitsmannschaft», sagte Lizzie und schob die Skizzen in ihre Umhängetasche. «So, und jetzt will ich wissen, was mit Oliver ist», sagte sie. Lizzie liebte Oliver, sie liebte die «Geschichte von Oliver und Kat», und sie wollte, dass die beiden heirateten. So wie alle anderen auch.
Nur Kat hatte keine Ahnung, was sie wollte. Ihre «Geschichte» hatte sich verselbständigt. Manchmal hatte sie das Gefühl, diese «Geschichte», an die sie nie ohne Gänsefüßchen denken konnte, war inzwischen größer als die Gefühle, die sie und Oliver füreinander empfanden.
Vor fünfundzwanzig Jahren mit nur zwei Monaten Abstand zur Welt gekommen, waren Kat und Oliver Tür an Tür aufgewachsen, ihre beiden Elternhäuser nur durch eine dichte Hecke getrennt, in der sie sich schon als Kinder oft versteckt hatten, um zusammen zu sein, selbst wenn es schneite. Sie waren von Kindesbeinen an unzertrennlich gewesen, sehr zur Freude ihrer Eltern. «Wir freuen uns jetzt schon darauf, auf eurer Hochzeit zu tanzen», hatte es immer geheißen, und Kat und Oliver hatten bei diesem Spruch regelmäßig augenrollend das Weite gesucht.
Kat erinnerte sich noch genau an den Moment, als Oliver
alles
für sie geworden war: der eiskalte Neujahrsmorgen, als sie zehn Jahre alt war und ihre Mutter ihr und ihren Cousinen von dem Autounfall erzählt hatte. Kat hatte den Kopf geschüttelt, angefangen zu schreien und war barfuß hinaus in den Schnee gerannt, quer durch die Hecke, die dichten Zweige hatten ihr das Gesicht zerkratzt, und sie hatte so lange bei Oliver an die Haustür gepocht, bis seine Mutter ihr aufmachte. Oliver hatte ihr ein Paar Stiefel von sich gegeben, eine Jacke und Handschuhe, und sie waren rausgelaufen und hatten sich im Gebüsch versteckt. Dort hatte er sie in der Eiseskälte gehalten und gewiegt und mit ihr geweint und immer wieder gesagt: «Es tut mir so leid, Kat.»
In den Tagen und Wochen und Monaten, die auf den Unfall folgten, hatte Kat sich, überwältigt und überfordert von ihren Cousinen und von der stummen Trauer ihrer Mutter, noch enger an Oliver geklammert. Sie hatte ihn. Ihr ging es gut. Alles war gut. Oliver stand für «gut».
Eines der letzten Dinge, die ihr Vater an jenem verhängnisvollen Silvesterabend vor fünfzehn Jahren zu ihr gesagt hatte, hatte Oliver betroffen. Als er sie an jenem Abend ins Bett brachte, wollte er wissen, ob sie fürs neue Jahr irgendwelche Vorsätze gefasst hätte, und sie hatte geantwortet, sie hätte nur einen, und zwar, sich auch mit einem Mädchen anzufreunden. Denn Oliver war Kats einziger Freund, und auch ihrer Mutter stand sie lange nicht so nahe wie ihrem Vater. Sie sehnte sich nach einer besten Freundin, wie so viele ihrer Klassenkameradinnen sie hatten. Ihr Vater hatte zustimmend genickt und gesagt, das sei ein guter Vorsatz, aber Oliver wäre Gold wert, und wenn man nur einen einzigen besten Freund hatte und der dafür Gold wert war, dann hatte man alles, was man brauchte.
Und Oliver
war
Gold wert. Damals mit fünf, als die meisten Jungen viel zu grob waren. Mit zehn, als die meisten Jungen zu Mädchen gemein waren. Und jetzt mit fünfundzwanzig, wo die meisten Typen nur möglichst viele Frauen ins Bett kriegen wollten, ehe sie mit dem Mädchen sesshaft wurden, das ihnen im Grunde seit dem Sandkasten vorherbestimmt war.
«Wir … gehen miteinander aus», sagte Kat zu Lizzie. «Verbringen viel Zeit zusammen, aber, ach, ich weiß einfach nicht. Oliver ist einfach mein bester Freund. Und ich finde, so sollte es besser auch bleiben.» Dabei hegte Kat durchaus auch andere Gefühle für Oliver. Aber immer, wenn sie dachte, sie sollten
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