Der Sommer der Gaukler
einen Spalt weit auf.
»Wallerschenk? Sie?! – Hab ich nicht Order gegeben, mich nicht mehr zu stören? Ich habe mich für die morgige Aufführung zu präparieren!«
»Ich auch!«, krächzte Wallerschenk. »Ich auch!«
Schikaneder trat über die Schwelle und zog die Tür hinter sich zu. »Kann man nicht eine Sekunde innere Einkehr halten?«, rief er erbost. »Was ist denn? Hat es vielleicht wieder Differenzen gegeben?
»Differenzen?!«, japste Wallerschenk. Er deutete auf sein Oberkiefer. »Da vorn wackeln mir zwei Zähn!«»Wenn Er meint, raufen zu müssen, gehts mich als Direkteur bloß was an, wenn er deswegen nicht zur Vorstellung kommen kann. Dass Sie ein bisschen zerrupft sind, sehe ich, aber stehen und sprechen können Sie noch. Sie mit Ihrer ewigen Streitsucht! Mit wem haben Sie sich schon wieder angelegt?«
»Diese blöden Dorfleut müssen bei der Probe gelinst haben, und jetzt sind sie mir bös!«
»Herrgott, Wallerschenk, so stellens Ihnen doch nicht so an! Die Emotion schäumt halt hier höher auf als in den noblen Häusern. Warum nimmt Ers nicht positiv?«
»Positiv?!«, keuchte Wallerschenk entgeistert.
»Natürlich! Als Lob dafür, dass sein Spiel so genial ist?«
»Lob tut wohl! Ich aber spürs genau konträr! Ich kann ja kaum noch einen Schritt tun, da fallen diese Narrenhäusler schon über mich her! Aber der Demoisell Bichler, bei der fehlts grad noch, dass sie ihr in der Kirche Kerzen aufstecken.«
Schikaneder sah streng auf ihn herab.
»Ach, das ist es! Eifersucht! Wie unwürdig, Wallerschenk! Wie unwürdig.«
»Blödsinn!« Wallerschenks Augen loderten vor Verzweiflung und Empörung. »Herr Direkteur! Ich ersuche mit aller Entschiedenheit, den Vicedom von jemand anderem geben zu lassen! Was hier vor sich geht, hat mit Kunst nichts mehr zu tun!«
»Ausgeschlossen!«, donnerte Schikaneder. »Er spielt! Das ist eine ordre du directeur ! Leisten Sie ihr nicht Folge, sehe ich mich gezwungen, dies als klare Insubordination, und angesichts der augenblicklichen Lage gar als Obstruktion zu werten!« Er drückte die Türklinke. »Keine weitere Diskussion! Gute Nacht.«
Reflexartig klappte Wallerschenk die Lider zusammen, als die Tür vor ihm ins Schloss krachte.
Während er geschlagen davonwankte, schob Demoisell Bichler die Bettdecke zurück, unter der sie sich verborgen hatte. Sie schüttelte missbilligend den Kopf.
»Was der sich einbildet. Als obs sein Spiel wär, für das ihn die Dorfleut hauen.«Schikaneder warf seinen Schlafrock über die Stuhllehne. »Sondern?«
»Na was schon, Manü! Er hat einem hiesigen Mädel schöne Augen gemacht.«
»So?! Trotz meiner deutlichen Direktiven, derartiges zu unterlassen?«
»Aber natürlich!« Sie nickte herablassend. »Und da wirds halt einen vom Dorf geben, dem das ebenfalls nicht passt.«
»Ich verstehe«, sagte Schikaneder, hob die Decke und legte sich an ihre Seite.
»Und wenn du mich fragst, Manü: Der Wallerschenk hat fürs Theater einfach nicht die richtige Leidenschaft.«
Er grinste: »Ich schick ihn zu dir in die Lehr.«
34
A ls die Dämmerung hereingebrochen war, hatte sich ein eisiger Luftzug erhoben. Noch vor Mitternacht stand quellender Nebel über dem Flusstal und dem Moor. Tastend kroch er über die Stoppelwiesen zum Dorf hinauf. Über den Gipfeln des Kogelberges hing die milchweiße Scheibe des Mondes, der das Tal mit grauem Licht übergoss. In der Talsenke raunte der Fluss, und bis auf das Knacken der Balkenverbünde der Dorfhäuser, dem gelegentlichen Ruf eines Käuzchens und dem feinen Singen des durch die Obstbäume streichenden Windes herrschte Stille.
Auch der Wirt hatte versucht, Schlaf zu finden. Doch seine fiebrige Unruhe war von Minute zu Minute gewachsen. Sehnsüchtig hatte er gelauscht, bis er sicher sein konnte, dass auch der letzte Hausbewohner zu Bett gegangen war.
Dann schlich er vorsichtig auf den Flur. Den Weg zu Babetts Kammer fand er im Dunkeln. Sein Herz klopfte bis zum Hals, als er die Klinke herabdrückte. Ein kurzer, scharfer Stoß mit der Schulter, dann gab der Riegel nach, den die Magd vorgeschoben hatte.
»Pscht!«, flüsterte der Wirt heiser. Behutsam drückte er die Tür hinter sich ins Schloss. Babett war aufgeschreckt. Aufrecht saß sie in ihrem Bett. Mit weiten Augen starrte sie in die Dunkelheit.
»Pscht! Babett! Ich brings nicht übers Herz, dich in der Schandgeigen zu sehen! Ausgezahnt und angespien!«
»Geh«, flüsterte sie.
»Babett! Ich zahl dir die Straf! Dann kommst
Weitere Kostenlose Bücher