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Der Sommer der Gaukler

Der Sommer der Gaukler

Titel: Der Sommer der Gaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hueltner
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Stimmen hörte. Er duckte sich wieder.
    »Jetzt hören Sie endlich auf damit, Hassl! Machen Sie doch nicht mir einen Vorwurf«, schimpfte Paccoli.
    »Hätten Sie mir den Schuss gelassen! Ich hätts schon keinem erzählt!«
    »Aber mein Stand war miserabel!«
    »Da schaut eins vorher drauf, Missöh Paccoli.«
    »Ja gut, gut... ich habe eben noch nicht ausreichend Erfahrung in Jagddingen. – Was soll denn jetzt weiter geschehen? Wir versuchen es gleich morgen früh noch einmal, ja?«
    »Noch einmal?«
    »Was sonst? Ich habe Sie schließlich dafür engagiert.«
    »Missöh Paccoli! Verstehen Sies denn immer noch net? Den Sechzehnender könnens Ihnen aus dem Kopf schlagen. Der wird sich nicht mehr sehen lassen. Der verreckt nämlich jetzt grad in irgendeinem Loch, so wie der geschweißt hat – nach Ihrem grandiosen Schuss.«
    Ihre Stimmen versanken in der Waldschlucht. Gidi richtete sich erleichtert auf, vergewisserte sich, dass die Männer ihn nicht mehr sehen konnten. Er glitt wieder auf den Pfad hinab, streifte trockene Kiefernnadeln und Spinnweben von seiner Brust und setzte seinen Weg fort.Am Fuße der Abraumhalden hielt er an. Er musste jetzt ganz in der Nähe jener Stelle sein, wo der Schmugglerpfad über die Scharte abzweigte. Gidi sah stirnrunzelnd zum Himmel. Die Sonne stand schon weit im Westen. Eine Wolkenwand hatte sich vor sie geschoben. Die Dunkelheit würde früher hereinbrechen, als er erwartet hatte. Wenn er nicht genügend Sicht hatte, war an eine Durchquerung der Südwand nicht zu denken. Er musste sich beeilen.
    Etwas befahl ihm, nicht weiterzugehen. Langsam drehte er seinen Kopf nach oben.
    Dann sah er zwischen Gestein und Waldrand etwas, was weder zum Grau des Abraumgerölls, noch zum gedeckten Grün der Kiefern, auch nicht zum Weizengelb der verdorrten Gräser passen wollte. Im gleichen Augenblick stach ihm die Blutspur ins Auge, die dazu hinführte.
    Gidi spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Er raste los, sprang über die Geröllblöcke, rutschte ab, krallte sich auf allen vieren empor.
    Zu spät.
    An Kristers Gürtel hing ein blutgetränkter Hase. Er hatte es noch bis hierher geschafft, dann hatten ihn die Kräfte verlassen. An seinem Hals klaffte eine fürchterliche Wunde. In seinen Augen schimmerte ein trüber Widerglanz des Himmels, und über seine Lippen wanderten Ameisen. Sein Körper war noch warm, als ihn Gidi schulterte und zur Knappenstube hinaufwankte.

32
    E in Vicedom war einer der höchsten Beamten der bairischen Herzöge des späten Mittelalters, ausgestattet mit der Machtfülle eines Obersten Landesrichters. Im Drama der ›Agnes Bernaue- rin‹ war ihm der Part des Bösewichts zugedacht. Dennoch war es eine Rolle ganz nach Peter Wallerschenks Geschmack. Statt pöbelhafte, auf billige Lacher abzielende Grobheiten (wie sie der Herr Direkteur offenbar so liebte) abliefern zu müssen, konnte er in donnernden Monologen schwelgen, durfte würdevolles Auf- und Abschreiten der Bühnenrampe zelebrieren und mit feinnervigem Mienenspiel die tragische Tiefe dieser Figur ausloten. Und morgen würde er das Publikum davon überzeugen, dass der Vicedom kein schurkischer Halsabschneider, sondern ein grandioser Scheiternder war.
    Zufrieden hatte Wallerschenk registriert, dass sogar Caselli heute Nachmittag nicht umhingekonnt hatte, ihm Beifall zu zollen. Und als sie im Garten jenen Dialog probten, in welchem der finstere Vicedom einem herzoglichen Ritter seine Motive und Pläne offenbarte, hatte sich plötzlich eine Traube gaffender, von der Wucht seiner Darstellung zutiefst beeindruckter Dörfler um sie gebildet.
    Auffallend war nur, dass seine Ophelia – Sepha – nun sein Lächeln gar nicht mehr zu erwidern wagte. Schloss das dumme Ding vielleicht aus seiner Darstellung auf seinen Charakter? Wie naiv waren die Leute hier überhaupt? – Egal. Sie hatte sich eh seit Tagen ziemlich zurückhaltend gezeigt. Sepha zu ihremGlück zwingen zu müssen, hatte er nun wirklich nicht nötig. Bald würde ihm Salzburg zu Füßen liegen, und damit auch die Salzburgerinnen.
    Von dieser Gewissheit beschwingt, genoss er den Abend vor der Aufführung. Für die Nervosität der Kollegen hatte er nur milde Nachsicht übrig. Millner wieselte pausenlos um den Direkteur, um irgendwelche technischen Probleme zu diskutieren. Besonders Demoisell Bichler schien plötzlich Angst vor der eigenen Courage zu bekommen. Ständig umtänzelte sie ihren Meister, hing an seinen Lippen, wollte wissen, ob diese oder

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