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Der Sommer der Gaukler

Der Sommer der Gaukler

Titel: Der Sommer der Gaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hueltner
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jene Haltung in dieser oder jener Szene besser als die bei der Probe gezeigte wäre, ob sie bei diesem Satz das Hauptwort oder besser das Tunwort betonen sollte. Gläubig akzeptierte sie den Rat des Direkteurs, dass natürlich das Hauptwort zu betonen sei, deshalb hieße es ja schließlich so. Rosina Mayer, welcher der Ein-Wort-Auftritt der Zofe zugefallen war, beschimpfte ihren Aloys. Mit mehr als einem Dutzend Betonungsvarianten hatte sie ihn beschwatzt, und von jeder zeigte er sich restlos überzeugt.
    Ach Gott! Wo war man denn? Am Hofe des Kurfürsten etwa, gar des Kaisers? Sie spielten doch nur für diese simplen Leutchen hier, das konnte man doch wahrlich lässig angehen! Wallerschenk zupfte Bartholomäus am Ärmel. Er schien noch am wenigsten von dieser Hektik berührt zu sein.
    »Was haben sie bloß alle?«
    »Weiß auch net.«
    »Aber es gibt doch keinen Grund für diese Aufregung! Den Leuten hier fiele doch nicht einmal auf, wenn wir einen Akt ausließen!«
    Bartholomäus wiegte seinen schweren Schädel.
    »Ich würd halt denken, die Leut zahlen ein Geld dafür, und soweit ichs seh, kommts ihnen blutig hart an. Drum solltens wir gescheit machen.«
    »Sicher, sicher, aber dennoch –«
    »Und vielleicht machts unsere Leut so wepsig, weil es wasNeues für sie ist, vor Dorfleuten zu spielen. Von der Kunst mögen die nicht viel verstehen, aber das heißt noch lang net, dass es ihnen gefällt, was sie zu sehen kriegen.«
    »Diese Angst habe ich nun wahrlich nicht, mein Bester«, sagte Wallerschenk überlegen. Nein, diese Bedenken konnten ihn nicht anfechten. Er war gut, seine Rolle prachtvoll – es würde ihm morgen ein Leichtes sein, die Zuschauer in seinen Bann zu schlagen. Schon jetzt glaubte er zu spüren, dass ihm die Dorfleute mit größerer Ehrerbietung gegenübertraten, seit sie ihn im Garten gesehen hatten. Wen er ansprach, der wandte den Blick ab, bevor er mit leiser Stimme Antwort gab. Die Aura großer Künstler schüchtert schlichte Gemüter eben ein.
    Überhaupt schien das morgige Spektakel längst Tagesgespräch zu sein. Die für die Einheimischen reservierte Gaststube war heute voller als üblich. Sogar im Gang zwischen Stuben und Salett hielten sich eifrig debattierende junge Männer auf. Obwohl ihr Gespräch jedesmal abbrach, wenn er an ihnen vorbeiging, war sich Wallerschenk sicher, dass sie über nichts anderes als die Aufführung sprachen.
    Wallerschenk ertappte sich dabei, sich langsam in diesem abgeschiedenen Dörfchen wohl zu fühlen. Natürlich – Gott behüte! – würde er niemals hier leben wollen. Doch die Oberflächlichkeit der Städte hatte ihn zuweilen in eine unerklärliche Depression gestürzt. Hier jedoch schienen die Menschen noch mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen. Waren ihre Wünsche nach Zerstreuung so bescheiden, weil diese Sattheit voraussetzten? Denn von Sattheit konnte bei den meisten Dörflern nun wirklich nicht die Rede sein. Kein Wunder, dass es an jeglicher Raffinesse mangelte. Der Wein beispielsweise, den der Kolber servierte, war für Wallerschenks Geschmack etwas zu süß.
    Und, leider, ausgesprochen harntreibend. Schon zum dritten Mal an diesem Abend trieb es Wallerschenk auf den Abort – die Pissrinne vermied er, sie verursachte ihm Übelkeit.
    Erleichtert kam er zurück. Generös nickte er dem Volk in der Tenne zu.Sekunden später lag er auf der Nase. Empört richtete er sich auf. Welcher Flegel hatte ihm einen Fuß gestellt?! Als Antwort klatschte eine Hand in sein Gesicht.
    »Du Spitzbub, du studierter!«, hörte er noch, bevor die nächste Ohrfeige heranpfiff.

33
    D er Prinzipal hatte sich früher als sonst verabschiedet. Einige Details der morgigen Aufführung müsse er noch überdenken, die Transformierung in eine Freiluftaufführung werfe immer unerwartete Probleme auf. Kurze Zeit später hatte sich auch Demoisell Bichler erhoben. So erschöpft wie nach diesem turbulenten Tag sei sie selten gewesen – zwei komplette Durchgänge an einem Tag, dazu noch Szenenproben – das koste schließlich Kraft. Außerdem müsse sie noch ein wenig über das Wesen ihrer Rolle sinnieren, und bei der Anlage ihres Liebesmonologs habe sie noch den einen oder anderen Zweifel.
    Ob er seinen Direkteur womöglich bei der Arbeit stören würde, ob dieser vielleicht bereits zu Bett gegangen war – all das war Wallerschenk jetzt völlig egal. Als nach dem ersten Klopfen noch keine Antwort kam, hämmerte er an die Tür zu Schikaneders Kammer. Endlich ging die Türe

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