Der Sommer der lachenden Kühe
den Leuten um und erklär te: »Die Vorstellung ist jetzt zu Ende. Danke für Ihr Interesse.«
Er wollte den klatschnassen alten Mann möglichst unauffällig in den Fahrstuhl verfrachten. In der Halle begegneten ihnen allerdings einige Hotelgäste, die zum Frühstück gingen, was für Taavetti Rytkönen ziemlich peinlich war. Im Fahrstuhl befanden sie sich in der Gesellschaft dreier Deutsch sprechender älterer Damen. Rytkönen wandte ihnen den nackten Rücken zu, musste dafür aber sein wassertriefendes Bild im Spiegel anstar ren. Aufreizend langsam arbeitete sich der Fahrstuhl nach oben. Die deutschen Damen tauschten unterein ander Bemerkungen darüber aus, wie sehr doch die Moral in den nordischen Ländern nachgelassen habe.
Auf seinem Zimmer angekommen, befahl Sorjonen dem Alten, sofort ein heißes Bad zu nehmen, anschlie ßend steckte er ihn ins warme Bett. Rytkönen nieste ein paarmal erleichtert und schlief dann ein. Seppo Sorjo nen blieb nachdenklich am Bett sitzen. Er nahm die alte Kaffeemühle vom Kühlschrank und mahlte gedanken verloren vor sich hin, obwohl sie leer war. Wie man sich denken kann, hatte der Körper des alten Mannes den stundenlangen Aufenthalt im kalten Was ser nicht gut verkraftet. Taavetti Rytkönens Wangen glühten, und sein Herzschlag war unregelmäßig. Seppo Sorjonen beobachtete besorgt den Zustand seines Ge fährten. Er holte ein Fieberthermometer und Aspirin aus der Apotheke. Er schob dem schlafenden Alten das Thermometer in den Mund und stellte fest, dass dieser 39,2 Grad Fieber hatte. Sein Puls raste.
Sorjonen rief seine Freundin Irmeli Loikkanen in Hel sinki an und erzählte ihr, dass es ihn nach Tampere verschlagen habe, und zwar in der Gesellschaft eines alten Mannes mit Demenz. Es sei allerlei passiert, unter anderem, dass er nunmehr ein ehemaliger Taxifahrer sei. Er sei entlassen worden, weil er einen Kunden bis nach Hämeenlinna gefahren habe.
Irmeli war besorgt. Wie kam der arme Seppo zurecht? Sollte sie nach Tampere kommen, um nach ihm zu sehen? Sie vermisste ihn schrecklich. Nach Tampere könnte sie jederzeit reisen, so viel Urlaub würde sie immer bekommen. Ihr Hüftgelenk hatte während der ganzen Woche geschmerzt, doch in der Klinik der Invali denstiftung wollte man sie jetzt auf die Warteliste für eine Operation setzen. Es wäre doch wunderbar, wenn dieser alte Schaden endlich behoben würde.
»Aber es ist ein ziemlich schwerer Eingriff, haben sie gesagt.«
Irmeli Loikkanen war eine dreißigjährige Speditions angestellte. Sie hatte von Geburt an ein Hüftgelenkslei den, aus dem sich später eine Arthrose entwickelt hatte. Ein Bein war bei ihr ein wenig kürzer, und daher war ihr Rückgrat leicht schief, was ihr Probleme beim Gehen bereitete. Doch sie war eine begeisterte Schwimmerin, aufs Schwimmen wirkte sich das Leiden nicht aus.
Zum Glück hatte sie jetzt wenigstens die Aussicht, auf die Warteliste für eine Operation zu gelangen. Auch die Zahlungsverpflichtung der Gemeinde, die von der Klinik als Voraussetzung verlangt wurde, war bestätigt worden. Sorjonen versuchte, ihr am Telefon Mut zu machen. Alles werde gut verlaufen, da sei er sich sicher. Aber im Moment sei ein anderes Problem akut: Sein Schützling, jener an Demenz leidende Vermessungsrat, sei erkrankt, was solle er tun? Der Patient liege mit hohem Fieber in seinem Hotelzimmer.
Irmeli konnte ihm nur den Rat geben, sich an einen Arzt oder an ein Gesundheitszentrum zu wenden. Das Fieber könnte steigen und eine Lungenentzündung nach sich ziehen, und die sei besorgniserregend, besonders bei alten Menschen.
Sofort nach dem Telefonat rief Sorjonen im nächstge legenen Gesundheitszentrum an und bat um Hilfe. Sein Reisegefährte habe eine Grippe bekommen, ob es erfor derlich sei, ihn zur stationären Behandlung in das Zent rum zu bringen?
»Wie lautet seine Krankenversicherungsnummer?« »Die weiß ich leider nicht. Sein Geburtsjahr ist 1923
oder etwa um den Dreh.«
»Fragen Sie ihn doch.«
»Er weiß es nicht, beziehungsweise er erinnert sich nicht.«
»Wo ist er gemeldet?«
»Meines Wissens nach in Espoo. Sein Name ist Taa vetti Rytkönen.«
Man erklärte Sorjonen in amtlichem Ton, der betref fende Patient habe nicht das Recht, am falschen Ort krank zu werden. Er müsse zu diesem Zweck nach Espoo gebracht werden.
»Er ist immerhin Vermessungsrat«, versuchte es Sor jonen noch einmal.
Die Person vom Gesundheitszentrum erklärte ihm, man pflege keinen
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