Der Sommer der lachenden Kühe
betroffene Patient die Krankheit nicht erkenne und akzeptiere und dass deshalb vor allem die Angehörigen und das unmittelbare Umfeld zu leiden hätten. Die Symptome der Demenz traten nach und nach auf, fast unbemerkt.
»Eine Demenz ist zunächst schwer zu diagnostizieren. Die Patienten klagen im Allgemeinen nicht über ihre Beschwerden, da sie diese nicht begreifen, und wenn sie sie erkennen, geben sie sie aus Starrsinn nicht zu. Sie neigen dazu, ihre Gedächtnisausfälle zu kaschieren.«
Der Arzt erläuterte weiter, dass die Demenzkranken in ihrem Gefühlsleben ziemlich gleichgültig seien. Jünge ren und kompetenteren Menschen gegenüber verhielten sie sich jedoch misstrauisch und oft sogar feindselig. An Demenz leidende Menschen behielten lange Zeit ihre sozialen Fähigkeiten, doch ihr Gefühlsleben verarme und werde zunehmend oberflächlicher.
»Die Störungen treten oft nachts auf, dann verspürt der Patient Beklemmung und Einsamkeit. Die Prognose für eine fortgeschrittene Demenz ist leider ziemlich hoffnungslos. Es tritt keine Besserung ein, aber das Gute daran ist, je schlimmer die Krankheit wird, desto weniger bekümmert es den Patienten selbst.«
Hyvärinen betonte, dass ein Demenzkranker in erster Linie verständnisvolle Menschen um sich herum brau che, deren Anwesenheit und Fürsorge ihm ein Gefühl von Sicherheit gebe und seine Beklommenheit mildere. Wenn also Sorjonen seinem Gefährten helfen wolle, so solle er tadelnde Bemerkungen möglichst vermeiden und stattdessen versuchen, verständnisvoll und unterstüt zend für ihn da zu sein. Falls Rytkönens Zustand einmal recht schlimm würde, könnte es hilfreich sein, ihm wie ein Arzt gegenüberzutreten, zum Beispiel in einem wei ßen Kittel und mit irgendeinem Instrument in der Hand. Eine vertraute Person, die noch dazu wie ein Arzt aus sehe, beruhige den Patienten im Allgemeinen.
Nach diesen Ratschlägen wollte Hyvärinen noch ein mal nach dem Patienten sehen. In der Tür zu Rytkönens Zimmer schwenkte er sein Stethoskop und erklärte, nun komme noch einmal derselbe Doktor, der den Patienten schon vorher untersucht habe.
»Keine Angst, bleiben Sie ganz ruhig liegen. Ich möchte mich noch ein wenig mit Ihnen unterhalten.«
Der Arzt stellte Rytkönen einige Fragen, die seine der zeitigen Lebensumstände, sein Zuhause, seine Familie, seinen Beruf und seine finanziellen Verhältnisse betra fen.
Rytkönen konnte die meisten Fragen nicht beantwor ten. Er wurde ungehalten.
»Wieso sind Sie so neugierig? Sie sind für mich ein völlig fremder Mensch, kümmern Sie sich um Ihre eige nen Angelegenheiten«, knurrte er. »Und wenn Sie wissen wollen, ob ich Geld habe, hier ist es, Sie können mei netwegen nachzählen.«
Rytkönen holte unter seinem Kopfkissen ein dickes Bündel Geldscheine hervor, das von einem Gummiband zusammengehalten wurde. Es enthielt eine große Menge Tausender, mehr, als ein gewöhnlicher praktischer Arzt normalerweise zur Verfügung hatte.
Sorjonen ging mit dem Arzt wieder in das andere Zimmer. Hyvärinen empfahl ihm, sich ein Stethoskop und einen weißen Kittel anzuschaffen, auch ein Reflex-hammer wäre sicher nicht schlecht. Diese Instrumente erweckten zusammen mit dem Kittel Vertrauen bei alten misstrauischen Demenzkranken, besonders, wenn diese aus irgendwelchen Gründen ein wenig durcheinander wären. Das Patientenzimmer sollte auch bei Nacht hell erleuchtet sein, damit sich der Patient nicht unnötig fürchtete.
»Könnten Sie mir Ihr Stethoskop verkaufen? Ich wür de auch gleich noch mehr Instrumente nehmen… Dies scheint ein Gerät zum Blutdruckmessen zu sein?«, fragte Sorjonen, während er den Inhalt von Hyvärinens Arztkoffer inspizierte.
Hyvärinen zog seinen weißen Kittel aus und hängte ihn in Sorjonens Kleiderschrank. Dann suchte er in seinem Arztkoffer für Sorjonen einige Instrumente zu sammen. All das setzte er mit auf die Rechnung. Schließlich unterwies er Sorjonen noch im Gebrauch der Instrumente.
Sorjonen untersuchte zur Probe Hyvärinens Lunge. Darin rasselte es verdächtig laut, aber ansonsten war sie nach Sorjonens Meinung in Ordnung. Anschließend maß er den Blutdruck des Arztes. Das Ergebnis war erschreckend: hundertneunzig zu hundertzwanzig! Sorjonen sah seinen »Patienten« besorgt an. Er riet ihm dringend, seine Lebensweise ernsthaft zu überdenken und, falls das nichts bringe, sich an einen Arzt zu wen-den.
11
Vermessungsrat Taavetti Rytkönen lag, behandelt vom
Weitere Kostenlose Bücher