Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
einem Satz Karten zu suchen, war dann allerdings auf dem Sofa eingeschlafen.
Also war Jason auf den Balkon hinausgegangen, um frische Luft zu schnappen, während Nevill und Mr Thorndike gerade entdeckten, dass sie allerbeste Freunde waren, die sich vor langer Zeit aus den Augen verloren hatten.
Anfangs hatte Jason die Sterne betrachtet. Der Mond schien sehr hell, doch lenkte sein Licht nicht von den Milliarden Sternen der Milchstraße ab, die aussah, als hätte ein Maler sie mit einem ungestümen Pinselstrich an den tintenblauen Nachthimmel geworfen. Es war ein Augenblick des Friedens an einem lärmend-lauten Abend.
Ein Augenblick des Friedens, der von einem platschenden Geräusch unterbrochen wurde. Das sich wiederholte. Und wiederholte.
Jason blickte hinunter zum See. Anfangs konnte er nichts erkennen, dazu war es zu dunkel und im Haus zu hell. Dann wurde er etwas Weißes gewahr, das im Wasser trieb.
Und dann erkannte er rötlich schimmerndes Haar.
War das etwa …?
Jason lehnte sich über die Brüstung des Balkons.
Das konnte nicht sein. Nein, es konnte nicht Jane sein. Sie ging niemals ins Wasser. Nicht mehr, seit er sie als Kind das Schwimmen gelehrt hatte.
Aber es war eindeutig ihr Lachen, das er hörte. Und außerdem war jemand bei ihr. Ein Mann … mit dunklem Haar …
Jason kniff die Augen zusammen und schaute genauer hin. Das ist doch Mr Worth!
Plötzlich wurde ihm so einiges klar. Etwa, wohin Janes nachmittägliche Spaziergänge führten. Warum sie so erpicht darauf gewesen war, dass er Mr Worth auf dem Fest die Hand schüttelte. Nicht etwa, um einem Gewaltausbruch vorzubeugen, nein, keineswegs …
Und warum Jane sich noch gestern Abend so nachdrücklich für Mr Worths Unschuld eingesetzt hatte. Sie hatte Sir Wilton überzeugt, seinen Lynch-Trupp zurückzuhalten, um ihren heimlichen Liebhaber zu schützen.
Und ihr Interesse an dem guten Dr. Berridge? Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen, dass jegliches Interesse am Doktor nichts als eine Finte war, die seine Aufmerksamkeit vom wahren Objekt ihrer hartnäckigen Jagd ablenken sollte.
Jason fühlte sich irgendwie krank, als er seine Schwester aus der Ferne beobachtete, die im See herumplanschte und flirtete. Der Brandy, an dem er den ganzen Abend über genippt hatte, würde ihm wieder hochkommen, sollte dieser Lump seiner Schwester noch einen einzigen Zentimeter näher rücken …
Als Mr Worth sie hochhob und Jane lachte, als er sich über sie beugte und sie küsste, hielt Jason es nicht länger aus. Er hockte sich hinter einen der Pflanzkübel auf dem Balkon und holte mehrere Male tief Luft. Er musste sich zwingen, nicht zu würgen. Das dort draußen war seine Schwester . Und Schwestern stand es nicht zu, laut zu stöhnen und einen … einen … Straßenräuber zu küssen, und das auch noch in einem See. Und ganz gewiss stand es Brüdern nicht an, sie dabei zu beobachten und zu belauschen. Jason hielt sich die Ohren zu, was seiner Einbildungskraft jedoch keinen Abbruch tat. Ein Schauder des Abscheus rann ihm über den Rücken.
Oh, was für eine beschämende Situation! Hier hockte er hinter einem Pflanzkübel und versuchte, seine Schwester nicht zu belauschen, die eine Affäre mit einem Mann von derart schlechtem Charakter hatte, dass er London verlassen musste – und der ein ganzes Dorf gegen sich aufgebracht hatte. Immerhin war Jason noch so geistesgegenwärtig, sich kurz zu fragen, warum Mr Worth London eigentlich verlassen hatte. Doch dieser Gedanke wurde sofort von einem anderen verdrängt, der mächtiger und zorniger war: Jane war eine Heuchlerin.
Sie war mit Mr Worth umhergezogen und gönnte sich ihren Spaß. Aber wie entsetzt hatte sie sich gezeigt, als er gleich nach ihrer Ankunft ein Gasthaus aufgesucht hatte. Und wie kratzbürstig hatte sie darauf reagiert, dass er Charles und Nevill eingeladen hatte. Es spielte keine Rolle, dass auch Jason sich inzwischen fragte, ob es richtig gewesen war, seine Freunde einzuladen; hier ging es schließlich ums Prinzip!
Wieder hörte Jason, wie Nevill und Thorndike im Haus lachten. Im Wasser hingegen hatte das Herumplanschen und das Kichern aufgehört. Es schien, als ob alle köstlichen Spaß hatten – außer Jason natürlich. Oh, ihr Vater würde den Verstand verlieren, wenn er herausbekam, dass Jane sich …
Schlagartig versank er in Trostlosigkeit.
Sein Vater hatte bereits den Verstand verloren.
Und Jason wusste, dass es in diesem Moment wirklich nichts Schrecklicheres gab als die
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