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Der Sommer der Lady Jane (German Edition)

Der Sommer der Lady Jane (German Edition)

Titel: Der Sommer der Lady Jane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Noble
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Nachforschungen waren von Erfolg gekrönt. Nachdem er erfahren hatte, dass im oberen Stockwerk des Hauses ein heftiger Aufruhr getobt hatte, nachdem der Marquis schäumend vor Wut nach Hause gekommen war, und dass er ebenso wutschnaubend wieder davongestürmt war, nachdem Jane sich gleich nach ihrer Ankunft zu ihm begeben hatte, war es Byrne ein Leichtes gewesen, sich unbemerkt an der Seite des großen Herrenhauses entlangzuschleichen.
    Dagegen war es schon deutlich schwieriger, an der Mauer des Hauses hochzuklettern, da die glatten Steine seinen Füßen kaum Halt boten – von der Balustrade, die die Terrasse umsäumte, über den Fensterrahmen hinauf in das erste Stockwerk, dessen Balkon zur Seeseite zeigte. Einmal hätte er fast das Gleichgewicht verloren und hatte seinen Stock zu Hilfe nehmen und ihn um einen der Geländerpfosten haken müssen; aber auch das gelang ihm geräuschlos.
    Er vermutete, dass die Räume der Familie zur Seeseite lagen. Und wo immer Jane sich aufhielt, würde die Antwort auf seine Fragen zu finden sein.
    Byrne fand sie in einem der Zimmer, die dem Duke gehören mussten. Er spähte durch das Fenster und sah sie an dessen Bett sitzen. Sie hielt sich sehr gerade. Aus der Hand einer Krankenschwester nahm sie eine Tasse entgegen, tauchte einen Löffel hinein und führte ihn an die Lippen des alten Mannes. Er schüttelte schwach den Kopf; Jane sprach mit ihm und brachte ihn dazu, doch einen Löffelvoll zu trinken. Nachdem sie ihm ein wenig Flüssigkeit eingeflößt hatte, stellte sie die Tasse beiseite, klopfte behutsam ein Kissen auf und wandte keinen Blick vom Duke, bis er eingeschlafen war.
    Byrne hatte die Situation auf den ersten Blick erfasst.
    Der gleiche verschlossene und doch verletzte Ausdruck auf ihrem Gesicht. Der gleiche verborgene Schmerz; nur dass dieser Schmerz jetzt, da ihr Vater schlief und ihn nicht sah, den Weg an die Oberfläche fand. So war es gewesen, als er Jane zum ersten Mal gesehen hatte, damals beim Pferderennen bei den Hampshires. Die versteckte Anspannung, der Kummer. Aber irgendetwas war hinzugekommen, etwas Neues und Beängstigendes.
    Fortwährend beobachtete sie ihren Vater. Und Byrne beobachtete sie. Endlose Minuten. Eine Stunde. Langsam versank die Sonne am Nachmittagshimmel, und doch verharrten sie auf ihren Wachtposten: Jane beobachtete den Duke, der ruhig schlief, und Byrne beobachtete Jane von seinem Platz draußen vor dem Fenster.
    Dann fiel ein Sonnenstrahl durch das gegenüberliegende Fenster und ließ Janes Haar aufleuchten wie eine Flamme. Jane richtete sich auf, als erwache sie aus einem Traum. Schaute sich um.
    Und entdeckte Byrne.
    Sie zeigte keine Überraschung, als sie ihn am Fenster sah. Sie schaute ihn nur an. Ihre Blicke verfingen sich. Sie gab keinen Laut von sich. Aber ihre Augen – diese dunklen, unendlich tiefen Seen – ihre Augen sagten ihm alles.
    Sie trafen sich am Bach. Die untergehende Sonne färbte schon den Himmel rötlich orange und überzog den See mit Bändern aus rosarotem Licht. Sie trafen sich dort, ohne es verabredet zu haben. Er musste gewusst haben, dass sie diesen Weg zu seinem Haus wählen würde. Nicht den kurzen Weg durch den Wald, sondern den feigen, den langen Weg um den See herum, der das Unausweichliche aufschieben half. Als sie am Bach ankam, saß Byrne auf dem großen Felsen an dessen Ufer.
    Dass er sie von draußen vor dem Fenster ihres Vaters beobachtete, hatte Jane schon lange gewusst, bevor sie sich zu ihm umgewandt hatte. Reglos hatte er dort in der Hocke verharrt. Sein Bein musste fürchterlich geschmerzt haben. Niemand sonst im Zimmer hatte den Spion vor dem Fenster bemerkt, nicht Schwester Nancy und am allerwenigsten ihr Vater. Nur sie hatte ihn gesehen. Aber schließlich war es ihr schon immer gelungen, ihn zu spüren. Auf dem Dorffest. Am See. Sogar damals bei den Hampshires hatte sie Byrne in der Menschenmenge entdeckt; er hatte ihren Blick auf sich gezogen wie das Licht die Motte.
    Aber jetzt, als sie neben ihm auf dem Stein saß und der Bach plätschernd an ihnen vorbeifloss, konnte Jane ihm nicht in die Augen sehen.
    Daher war es Byrne, der nach einer Weile das Wort ergriff.
    »Seit wann ist er krank?«, fragte er ruhig.
    »Schon seit einiger Zeit. Zuerst war es einfach nur, als würde er … älter werden. Hin und wieder hat er ein paar Dinge vergessen, sich dann aber wieder an sie erinnert. Bis es anfing, dass er sich auch an bedeutendere Ereignisse nicht mehr erinnern konnte.«
    Byrne schwieg,

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