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Der Sommer der Lady Jane (German Edition)

Der Sommer der Lady Jane (German Edition)

Titel: Der Sommer der Lady Jane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Noble
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zurückkehrten.
    Schon bald darauf kamen sie am Wegweiser nach Palfrey vorbei, gegen den vor zwanzig Jahren ein Fuhrwerk gefahren, der aber nie wieder aufgerichtet worden war. Er stand windschief da und trotzte auf wohltuende Weise den Gesetzen der Schwerkraft.
    Im Gasthof in Stockford hatte es immer die köstlichsten Honigbrötchen gegeben, und wenn sie dort gehalten hatten, um die Pferde zu wechseln, hatte Jane jedes Mal in ihrem Beutel nach einem Penny gekramt, um diese Leckerei zu erstehen.
    All das waren Meilensteine einer Reise, die sie wieder und wieder zurückgelegt hatte.
    Als die Kutsche des Dukes of Rayne den Bridgedowne-Fjell passierte – wenn man den Hals reckte, konnte man von hier aus den ersten Blick auf das blaue Wasser des Merrymere erhaschen, an dem ihr Cottage stand –, richtete Jane sich kerzengerade auf, sodass sie sich den Kopf am Fensterrahmen stieß.
    »Du willst wohl das Wasser sehen?«, sagte Jason von Midas’ Rücken herunter und gähnte. »Ich dachte, du hast es nicht eilig, nach Reston zu kommen.«
    »Habe ich auch nicht«, konterte sie, »aber ich muss doch etwas zu tun haben. Die beiden hier schnarchen einfach zu laut. Die Hoffnung auf Schlaf habe ich längst aufgegeben.«
    Jason stieß einen undefinierbaren Laut aus, konnte seine stets aufmerksame Schwester aber nicht hinters Licht führen.
    Schließlich saß er verdächtig hoch aufgerichtet in seinem Sattel.
    Es dauerte nicht mehr lange, bis sie nach dem Passieren der letzten Baumreihen den See ausgebreitet vor sich liegen sahen. Dass er die Form eines Halbmondes hatte, hatte ihm den Namen Merrymere eingebracht. Vor sehr langer Zeit musste jemand bei seinem Anblick gedacht haben, dass er wie ein lächelnder Mund geformt war. Bei mehr als einer Gelegenheit während seiner bedauernswerten Jugend hatte Jason angemerkt, dass man diese Form auch für den Ausdruck von Kummer halten und dass der See deshalb eigentlich auch Sorrowmere heißen könnte. Ihre Mutter war über diesen Gedanken entsetzt gewesen. Kummer passte weder zum Merrymere noch zum Dorf Reston oder zum Cottage. Für die Duchess war es ein Ort unbeschwerten Glücks: die Ruhe, das kühle Wasser, das träge ans Ufer schwappte und in der Sonne wie ein Diamant glitzerte. Ein Himmel aus reinstem Blau spiegelte sich darin, und die Ruder eines gelegentlichen Ausflugskahns oder Fischerbootes, die ins Wasser schnitten, waren in einem kühlen Sommer an diesem Ort, an dem die Zeit stehen geblieben war, die einzigen Geräusche.
    So jedenfalls hätte Janes Mutter es beschrieben.
    Das Cottage stand knapp hundert Meter vom Seeufer entfernt. Die Bezeichnung »Cottage« war zugegebenermaßen eine Untertreibung für ein Haus, das über sechsundzwanzig Schlafzimmer sowie drei Salons, einen Ballsaal, ein Sonnenzimmer und eine umfangreiche Bibliothek verfügte. Von allen Häusern, die der Duke besaß, war es mit Abstand das behaglichste. Es war aus Sandstein und Ziegeln gebaut, und Jane versuchte sich zu erinnern, ob es überhaupt eine Spur von Marmor aufwies. Vermutlich nicht, da ihre Mutter bei allen Renovierungsarbeiten am Haus genau darauf geachtet hatte, dass dessen rustikaler Charakter gewahrt blieb.
    Ehe sie es sich versahen, hatten sie das Cottage erreicht und wurden von der Dienerschaft begrüßt. Der größte Teil davon war in der letzten Woche eingestellt worden, um die Dienstboten zu ersetzen, die früher hier gearbeitet hatten, inzwischen aber in den Ruhestand getreten waren. Das Gepäck wurde abgeladen, man kleidete sich um, das Mittagessen wurde serviert und verzehrt – eine Abfolge von Alltäglichkeiten, die die Familie auf das Kommende vorbereitete. Kaum war der letzte Gang abgedeckt worden, zog Jane ihren Bruder ins Wohnzimmer.
    Und wartete.
    »Worauf wartest du?«, fragte Jason, nachdem seine Schwester drei Minuten lang aus dem Fenster geschaut hatte.
    »Auf den Überfall.«
    Jason riss den Kopf hoch. »Auf welchen Überfall?«
    Und dann sahen sie es auch schon, beide gleichzeitig, in der Ferne: Eine Kutsche erklomm die hügelige Auffahrt zum Cottage.
    »Du erwartest Besuch?«, erkundigte sich Jason.
    Jane warf ihrem Bruder einen Blick zu, als sei er noch ein sehr, sehr kleines Kind. »Nein, nicht ich. Wir erwarten Besuch.«
    »Aber wer sollte uns besuchen?«
    »Sir Wilton, möchte ich wetten. Er ist doch das Oberhaupt des hiesigen Landadels. Oh, da kommt noch eine zweite Kutsche. Wer mag wohl darinnen sitzen? Entweder Mr Morgan, Mr Cutler oder Dr. Lawford, denke ich.

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