Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
Burg zurücklassen sollen – zwischen den Seiten eines Buches über das Erbe der Architektur der Tudorzeit, eingeschlagen in Wachstuch und versteckt unter den Dielenbrettern … wo praktisch jeder sie finden konnte.
Ganz besonders eine umtriebige, einsame Schwester, die (wie ihre Mutter es einst liebevoll ausgedrückt hatte) ein Talent dafür hatte, Unfug anzustellen.
»Komm schon, Jason«, Jane bemühte sich um einen verträglichen, vernünftigen Ton. »Wenn ich mich recht erinnere, hast du deine Jugendzeit dort im Cottage sehr genossen. Bestimmt möchtest du es wiedersehen.«
Jason brummte nur.
»Und außerdem glaube ich«, fuhr Jane mit einem wissenden Lächeln fort, »dass die gemeinte Empfängerin der Briefe sich in Reston aufhält. Vielleicht ergibt sich für dich die Gelegenheit, auch sie wiederzusehen.«
Jane hatte nicht angenommen, jemals im Leben einen Geist zu sehen – aber die Farbe, die Jasons Gesicht jetzt annahm, hatte etwas Gespenstisches.
»Nein«, krächzte er mit einer Stimme wie aus trockenem Papier, »das kannst du doch gar nicht wissen.«
»Ach nein?«, erwiderte sie unschuldig. »Bist du dir da ganz sicher? Ich war überzeugt, dass du die Briefe an Penelope Wilton gerichtet hattest. Ja, ich weiß, adressiert hast du sie lediglich an ›P.‹, aber du hast sehr ausführlich von ihrem goldenen Haar und ihrer Schönheit geschwärmt. Die Passage mit den Fantasien über ihr Hinterteil würde ich allerdings als Wunschdenken eines unreifen Halbwüchsigen abtun wollen. Ich hoffe, dir ist inzwischen klar geworden, dass menschliche Wesen nicht dazu erschaffen worden sind, dass sie sich auf die Weise bücken, die du beschrieben hast.«
» AAARRRRGGGGHHH !«, stieß Jason laut aus, was dazu führte, dass Jane die Tinte aus der Feder tropfte und sich als hässlicher Klecks auf ihrem Brief an Phillippa ausbreitete. »Jane, bitte. Ich flehe dich an. Bitte, bitte, bitte … erlaube mir, auf diese Reise zu verzichten. Wenn ich hierbleibe, kannst du mit Vater sofort aufbrechen. Es gäbe keine Notwendigkeit, das Haus zu schließen. Und ich könnte an meinem Papier weiterarbeiten, dass ich der Historischen Gesellschaft vorstellen muss. Ich verspreche dir, dass ich euch oft besuche. Und noch öfter schreibe. Siehst du denn nicht, dass es das Beste ist? Du weißt doch, was für Vater gut ist … ich wäre nutzlos für ihn.«
Er fiel vor ihr auf die Knie und lieferte sich ihrer Gnade aus. Jane schaute ihrem Bruder ins Gesicht. Beide hatten sie die tiefbraunen Augen und das rötliche Haar von ihrer Mutter geerbt; aber sonst kam Jason eher nach ihrem Vater – das entschlossene Kinn, die lange aristokratische Nase, die unglaubliche Sturheit. Gesicht und Gestalt waren noch immer ein wenig jungenhaft schmal, auch wenn reichlich Wein und gutes Essen während seiner Reise auf den Kontinent ihm eine zusätzliche Schicht Fleisch auf den Rippen beschert hatte. Was ihn aber seltsamerweise jünger aussehen ließ, als er es mit seinen vierundzwanzig Jahren war. Als er jetzt vor Jane kniete und von Kopf bis Fuß so unglaublich verletzbar aussah, spürte sie ihre Entschlossenheit bröckeln. Ein wenig zumindest.
»Oh, Jason«, sagte sie und legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter, »ich hatte nicht bedacht, wie schwierig diese Reise für dich ist. Natürlich solltest du in London bleiben.«
Jasons Gesicht verzog sich zu einem strahlenden Lächeln. Gute Güte, jetzt schoss ihr auch noch durch den Kopf, dass er wirklich bezaubernd sein konnte, wenn er es darauf anlegte. »Du bist so schrecklich verständnisvoll. Einfach umwerfend, Schwesterchen.« Er erhob sich, drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel und tanzte einen Walzer zur Tür. »Charles und Nevill warten im Klub auf mich. Ich will ihnen die Neuigkeit gleich überbringen.«
»Großartig«, erwiderte Jane, »ich schicke nur noch schnell deine Briefe an die Druckerei, während du fort bist.«
Jason blieb reglos stehen. Dann drehte er sich ganz langsam auf dem Absatz um, ging zurück zu Jane und sah sie an.
»Oh, nun schau mich nicht so an. Betrachte es doch einmal so: Du wolltest schon seit Langem etwas von dir gedruckt sehen.«
Jason erstarrte. Sein gespenstisch bleiches Gesicht nahm eine rote Färbung an.
»Jase, du und ich, wir halten doch zusammen«, wiederholte Jane seine Worte, »und zusammen stehen wir das auch durch.«
Jane lächelte. Zum einen, weil sie an seinen mörderischen Blick zurückdachte, zum anderen amüsierte sie seine missmutige
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