Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
so.
Offenbar hatte Dr. Berridge damit Erfahrung, mit der Angst der Angehörigen umzugehen. Seine Stimme klang plötzlich weicher und weniger sachlich-streng. »Es tut mir leid. Ich habe nur wenig Erfahrungen mit diesem Krankheitsbild.« Er hielt inne und wägte seine Worte genau ab. »Ich habe einen Studienfreund, der jetzt in einem Sanatorium in Manchester arbeitet …«
»Mein Vater gehört nicht in ein Sanatorium«, fiel Jason ihm ins Wort, während Jane heftig den Kopf schüttelte. Mehr als nur ein Arzt in London hatte ihr diesen Vorschlag unterbreitet; Jane hatte diese Ärzte daraufhin nicht mehr konsultiert.
»Ich hatte nicht vor, Ihnen einen Vorschlag in diese Richtung zu unterbreiten.« Dr. Berridge hob die Hand, um Frieden zu stiften. »Mein Kollege hat mir berichtet, dass Patienten mit Gedächtnisschwierigkeiten ihren Zustand verbessern können, wenn ihr Alltag geregelt und nach bestimmten Mustern abläuft.« Obwohl der Arzt dies sehr zurückhaltend äußerte, brach Jason in schallendes Gelächter aus.
»Geregelter Alltag? Bestimmte Muster?« Er rieb sich die Schläfen. »Mein Vater ist ein Poet von Weltrang. Er ist Wissenschaftler! Sein Verstand ist schärfer als Ihr Skalpell. Wordsworth höchstpersönlich hat meines Vaters Beschreibungen der Berge und Ufer des Merrymere gepriesen. Und Sie glauben, dass er seinen Verstand und sein Gedächtnis durch … Regelmäßigkeit zurückerlangen kann?« Er sah seine Schwester an. Das selbstgefällige Lächeln auf seinem Gesicht sollte wohl Überlegenheit signalisieren. »Jane, hast du so etwas schon einmal gehört?«
»Nein, das habe ich nicht«, erwiderte Jane ruhig. »Und das ist doch schon mal etwas, oder nicht?« Sie blickte ihren Bruder an, der seinen missbilligenden Blick von ihr abwandte und wieder auf den Arzt richtete. »Meinem Vater wird es gut gehen«, sagte Jason mit einer Überzeugung in der Stimme, die nicht von Herzen kam, »auch ohne Ihren geregelten Alltag.«
Er verließ das Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
»Ich möchte mich für meinen Bruder entschuldigen«, sagte Jane und lächelte so zauberhaft, wie sie es in ihrer Verzweiflung vermochte. Ihre Augen lächelten nicht.
Dr. Berridge wischte ihre Sorge fort. »Er ist jung. Jünger als ich nach den Worten der Leute im Dorf erwartet habe.«
»Er ist vierundzwanzig«, sagte Jane ein wenig geistesabwesend und erntete einen überraschten Blick ihres Gastes. »Könnten Sie …« Sie zögerte. »Könnten Sie an Ihren Freund in Manchester schreiben und ihn nach seinen Therapiemethoden fragen?«
»Gewiss, Mylady«, erwiderte Dr. Berridge. »Ich bin auch sehr neugierig auf die Wirkung dieser Therapie.«
»Bitte verstehen Sie mich richtig, die anderen Ärzte, mit denen ich gesprochen habe … entweder führen sie den Zustand meines Vaters auf sein Alter zurück oder sie wollen ihm Laudanum geben, damit er ruhig in seinem Bett liegt … oder sie wollen ihm Nadeln in den Schädel stechen, um die schlechten Säfte abfließen zu lassen. Ich konnte doch nicht …«
Dr. Berridge nickte. »Ihr Vater befindet sich in einem Alter, in dem das Gedächtnis schwindet … selbst wenn seine Schwierigkeiten das für üblich gehaltene Maß überschreiten. Aber wir leben in einer Zeit, in der wir viel lernen … Sie haben recht daran getan, diese mittelalterlichen Behandlungsmethoden abzulehnen.«
Als Jane sich nach seiner medizinischen Ausbildung erkundigte und erfuhr, dass er zuerst in Cambridge und dann in London in mehreren Hospitälern gearbeitet hatte, konnte sie sich eine Frage nicht verkneifen. »Wie ist es nur möglich, dass es einen Mann mit solch liberalem Geist nach Reston verschlägt?«
Dem jungen Doktor huschte ein Lächeln über das Gesicht. »Ich gestehe, dass ich mich erst ein wenig eingewöhnen musste. Aber während meiner Arbeit in den großen Hospitälern wurde mein Wunsch immer stärker, meine Patienten besser kennenzulernen. Sie nicht nur als Körper zu sehen, sondern auch als Menschen. Daher habe ich zugegriffen, als Dr. Lawford mir diese Partnerschaft anbot.«
Jane erhob sich, Dr. Berridge ebenfalls. Sie begleitete ihn zur Tür des Wohnzimmers. »Ich möchte Sie um noch etwas bitten … ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie den Namen Ihres Patienten in dem Brief an Ihren Freund in Manchester nicht nennen würden.« Sie schaute ihn hoffnungsvoll an. Als Antwort verbeugte er sich kurz. »Selbstverständlich, Mylady. Kein Arzt kann ohne das Vertrauen seines Patienten
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