Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
zarter Riss zeigte sich in ihrer Hoffnung. Denn es war noch nicht einmal Mittag.
Wieder suchte sie den Blick ihres Bruders. In seinen Augen zeigte sich erst Verwirrung, dann Betroffenheit. Er senkte den Blick und starrte auf seine Füße. Der Duke lächelte, ohne zu verstehen.
Bevor Jane wieder das Wort ergreifen konnte, betrat Schwester Nancy mit einem Tablett voller Medizin das Zimmer. Ein gequält dreinblickender Lakai folgte ihr auf dem Fuße.
»Ah, Mylady«, grüßte Nancy auf ihre ruppige, zugleich aber freundliche Art. »Sind Sie gekommen, um mit Ihrem Vater Tee zu trinken?«
»Ja, Nancy, ich glaube, wir können beide ein Schlückchen vertragen.« Jane sprach mit ruhiger, aber kalt klingender Stimme. »Der Duke war allein, als ich ins Zimmer kam.« Die unausgesprochene Frage hing in der Luft, wo Nancy gewesen war und warum sie den alten Mann allein gelassen hatte.
Die Frage war beantwortet, als die Krankenschwester Jason überrascht ansah.
Aha, dachte Jane. Nancy hat Vater in Jasons Obhut zurückgelassen, während sie sich um die Medizin gekümmert hat. Und Jason hat ihn allein gelassen, um draußen im Flur auf und ab zu marschieren.
»Es tut mir leid, Ma’am.« Als wahrhaft professionelle Pflegekraft brauchte Nancy keine weiteren Worte. »Es wird nicht wieder vorkommen.«
Die Anspannung ging nicht unbemerkt am Duke vorüber. Er ließ Janes Hand los und fing an, nervös mit der Manschette seines Hemdes zu spielen. Es war ein Zeichen seiner Aufregung, das Jane inzwischen kannte, und mit dem sie umzugehen verstand.
»Was ist los?«, fragte der Duke. »Seid ihr böse auf mich?«
»Nein, Vater!« Jane streckte impulsiv die Hand nach ihm aus. Aber er zog sich zurück. »Wir wollen jetzt Tee trinken. Möchtest du, dass ich dir einschenke?«
Ein Ausdruck der Verwirrung huschte über sein Gesicht, kindlich, flüchtig, aber vorhanden. Sein Blick blieb am Teetablett hängen, und es anzusehen, schien ihn zu beruhigen. Er schaute Jane an; sie konnte erkennen, dass er sich nicht mehr glücklich fühlte, dass er aber immerhin etwas ruhiger geworden war. Bis Jason sein Gewicht auf das andere Bein verlagerte. Die kleine Bewegung erregte die Aufmerksamkeit des Dukes.
»Wer ist dieser Mann?«, fragte er mit Angst in der Stimme. »Wer sind Sie, Sir?«
Jason starrte seinen Vater schockiert an. Es hatte ihm die Sprache verschlagen. Jane und er sahen, wie der Duke aufstand und vor Jason zurückwich, als würde er von ihm angegriffen. »Was ist hier los? Was passiert hier? Wer ist dieser Mann?«
»Sir, bitte beruhigen Sie sich doch«, griff jetzt Nancy ein und ging langsam auf den Duke zu. »Wir trinken ein Schlückchen, und dann fühlen Sie sich schon viel besser.« Aber der Duke musste gespürt haben, dass die Welt um ihn herum sich wieder zusammenzog, denn er wich nun auch vor Nancy zurück. Vor Nancy, mit der er gelacht hatte und der er während der langen Reise an den See Geschichten aus alten Zeiten erzählt hatte. Im Moment spürte er nur Angst. Und das war der Augenblick, in dem er losrannte.
Er kam nur wenige Schritte weit. Dann stieß er gegen das Teetablett, das krachend auf dem Boden aufschlug. Der kochend heiße Tee floss ihm über die Hände, die er ausgestreckt hatte, um seinen Sturz abzufangen.
8
Der Nachmittag verlief wie in einen Nebel gehüllt. Nancy half dem Duke auf das Sofa, der vor Schmerzen weinte wie ein Kind. Es gelang ihr, ihn so weit zu beruhigen, dass er einen Schluck Wasser trank, in das sie einige Tropfen Laudanum gegeben hatte. Die Haut seiner Hände war knallrot und rau, aber das Beruhigungsmittel linderte seinen Schmerz. Jane schickte den schnellsten Burschen im Haus nach Reston, um Dr. Lawford zu holen.
Anschließend führte sie den wie erstarrt wirkenden Jason aus dem Zimmer und überließ ihren Vater Nancys Obhut. Sie saßen in dem Zimmer, in dem Jane am Vormittag Briefe geschrieben hatte, als sie mehrere Kutschen die Auffahrt heraufkommen sah. Sie verließ das Zimmer, um in der Halle zu warten. Auf dem Tischchen neben der Eingangstür lagen auf einem Silbertablett mehrere Visitenkarten – ein Beweis für das Feingefühl ihres Butlers, der alle, die an diesem Vormittag einen Besuch hatten machen wollen, auf diese Weise wissen ließ, dass die Familie zurzeit niemanden empfangen konnte. Ich muss all diese Besuche erwidern, dachte Jane vage.
Sie wartete in der Halle auf Dr. Lawson. Jason hatte sich inzwischen angekleidet und sich ihr angeschlossen. In seinem Gesicht zeigten sich
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