Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
verfluchten die Pferde, die schneller waren. Byrne wollte nichts als ein klein wenig Ruhe, mehr nicht. Einen kurzen Moment, in dem er sich nicht mehr so elend fühlte.
Er schloss die Augen, empfand aber die Dunkelheit, nach der er sich gesehnt hatte, eher als beunruhigend. Also öffnete er die Augen wieder – und sein Blick fiel auf eine junge Frau, die am Arm eines älteren Gentlemans daherspaziert kam.
Hellrotes Haar. Anders ließ es sich nicht beschreiben. Nicht ingwerfarben oder kastanienbraun oder rötliches Blond, es war keiner dieser weicheren, in der Gesellschaft eher akzeptierten Farbtöne. Hellrot und leuchtend. Natürlich trug sie einen Hut – für eine hochwohlgeborene Lady war es viel zu sonnig, um sich ohne einen Schutz draußen aufzuhalten –, ein kleines, elegantes Ding, offenkundig der letzte Schrei der Mode, der allerdings nichts dazu beitrug, diese großartige Haarfarbe zu verdecken.
Aber nicht ihr Haar oder ihre auffallend elegante Kleidung oder der Gentleman an ihrer Seite nahmen Byrnes Aufmerksamkeit gefangen. Auch nicht ihre Schönheit, die nicht zu leugnen war; schöne Frauen hatte er in seinem Leben schon viele gesehen. Zum Teufel noch mal, aber Schönheiten gab es hier dutzendweise zu bewundern.
Nein, es war die Strenge, die um ihre Mundwinkel lag. Selbst aus der Entfernung konnte er die Anspannung unter ihrer eleganten Vollkommenheit erkennen. Sie hielt die Schultern eine Spur zu gerade, in ihren Augen lag ein Ausdruck von Erschöpfung. Älter als neunzehn kann sie nicht sein, dachte er, und wohlbehütet von ihrem Reichtum und ihren Privilegien. Was konnte sie schon über das Leben wissen, dass sie so bekümmert aussah? Bestimmt ging es um irgendwelchen Liebeskummer.
Während sie mit ihrem Begleiter weiterging, verbannte Byrne ihr Bild aus seiner Erinnerung. Zu sehr war er noch damit beschäftigt, gegen sein Verlangen nach ein paar Tropfen Laudanum anzukämpfen. Merkwürdigerweise hatte es ein wenig nachgelassen. Was Byrne die Hoffnung gab, dass er den Kampf gegen sich selbst an diesem Tage gewinnen würde.
Es war die erste Begegnung mit ihr gewesen, und es sollten an jenem Wochenende weitere folgen. Er hatte einige indiskrete Erkundigungen eingezogen und erfahren, wer sie war: Lady Jane, glänzender Mittelpunkt der feinen Gesellschaft. Die strahlende perfekte Tochter eines Dukes, die in den Salons den Ton angab. Unvorstellbar, dass sie nur wenige Wochen später durch den Wald stapft mit einem Korb in der Hand wie eine Figur aus einem deutschen Märchen – dieser Gegensatz verwirrte Byrne ein wenig.
Aber um ihren Mund hatte noch immer dieser strenge Zug gelegen, die Haltung ihrer Schultern war starr gewesen. Genau genommen schien sich ihre Anspannung noch verstärkt zu haben. Nur bei einer Sache – sofern man von dem Schock absah, ihn nackt im Wasser überrascht zu haben – schien sie ihre Beherrschtheit vergessen zu haben: als er die Dose mit dem Jasmintee geöffnet hatte.
Mehr als alles andere war dies der Grund gewesen, weshalb er ihr die Dose geschickt hatte.
Ach, wirklich? Nicht etwa, weil du darauf gehofft hast, dass sie dich wieder besucht?
Byrne wollte die leise Stimme in seinem Innern nicht wahrnehmen. Hatte sie ihm doch erst vor Kurzem zugeflüstert, wie still sein Leben verlief – Korrektur: wie still er sein Leben eingerichtet hatte. Nein, redete er sich ein, wenn ich gewollt hätte, dass sie mich besucht, hätte ich die Dose behalten. Denn mit der Aussicht auf einen Vorrat ihres Lieblingstees wäre ein Besuch wahrscheinlicher gewesen.
Vielleicht sollte ich ihr den leeren Korb zurückbringen, dachte er. Es wäre eine rein nachbarliche Geste.
Bei dieser Überlegung verdrehte Byrne die Augen, ging hinaus in den Sonnenschein und ließ den Korb dort stehen, wo er stand.
Keine drei Sekunden später kehrte er zurück und schnappte sich ihn.
Er beschloss, auf dem Weg zum Cottage ein paar Umwege zu machen. Es gab ein Dutzend Pfade zu erkunden. Das Wandern war Tradition in diesem Teil des Landes, war die Idee dazu doch hier geboren und weiter gepflegt worden: wildes, unberührtes Land, das die raue Erde unter dem weitesten aller Himmel einbettete. Wer weit genug auf einen Gipfel hinaufklettert, fühlt sich, als könne er Gott die Hand schütteln – so hatte jedenfalls Dobbs es ausgedrückt. Die höchste Höhe hatte Byrne bisher nicht erklimmen können, denn seine Verletzung zwang ihm immer noch Beschränkungen auf. Vor der Sache mit seinem Bein, vor dem Krieg, wäre
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