Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
der Frühe nach Reston gefahren war, um ihre Vorräte aufzufüllen. Es stand zu vermuten, dass er sich bei dieser Gelegenheit mit seinem Freund Big Jim, dem Hufschmied, treffen und einen Becher Ale mit ihm trinken würde, bevor er sich wieder auf den Rückweg machte. Byrne rechnete also nicht vor Sonnenuntergang mit seinem Diener.
Er hoffte nur, dass Dobbs die Vorräte nicht vergaß.
Nach dem Schwimmen stand Byrne nicht der Sinn danach, sich den ganzen Tag im Haus aufzuhalten, und er beschloss, einen Spaziergang zu machen. Er trug eine bequeme Hose, Hemd und Jacke und sah für alle Welt aus wie ein Bauer aus dem Norden; keineswegs wie ein Soldat mit einer berüchtigten Vergangenheit, die er lieber vergessen wollte.
Als er flink zur Tür humpelte und sich dort den Stock mit dem Silberknauf schnappte (der genau genommen nicht in das Bild vom Bauern passte, aber notwendig war), blieb sein Blick wieder am leeren Korb hängen. Die Marmeladen und Gelees waren verzehrt, was entweder von den kulinarischen Talenten der Küche des Cottages zeugte oder vom Mangel, der in Dobbs und seiner Speisekammer herrschte. Wahrscheinlich von beidem.
Lady Jane – Byrne rechnete nicht damit, sie hier noch einmal zu sehen. Es wäre, genau wie der silberverzierte Gehstock für einen Bauern, schlicht unpassend.
Welchen Eindruck er bei ihr erweckt haben musste! Er wusste, dass er sich äußerlich verändert hatte. Er war kräftiger geworden und sah gesünder aus; aber er war auch misstrauischer geworden.
Und irgendwie schien auch sie verändert. In London war sie die Städterin schlechthin gewesen, die große Dame, wie man sie sich vorstellte, der Inbegriff dessen, was die feine Gesellschaft unter Stil und Geltung verstand. Ihre erste Begegnung stand ihm noch sehr klar vor Augen.
Vor einigen Wochen war es gewesen, auf dem Fest, das die Hampshires traditionell anlässlich des Pferderennens auf ihrem Landsitz veranstalteten. Sein Bruder Marcus hatte ihn dorthin mitgeschleppt. Er hatte den – wie sich später zeigte – wohlbegründeten Verdacht gehegt, dass ein gefährlicher Feind der Krone Zugang zur Londoner Gesellschaft gefunden hatte und dort anwesend sein würde. Dieser Widersacher war ihnen nicht unbekannt, hatten sie doch bereits während des Krieges mit ihm zu tun gehabt. Zögernd und ärgerlich hatte Byrne seinen Bruder auf dessen Jagd nach diesem Kerl begleitet.
Damals war es ihm nicht gut gegangen. Sein Bein hatte geschmerzt, und beständig hatte er den Drang unterdrückt, seiner Schwäche nachzugeben und sich und den Schmerz zu betäuben. Manchmal siegte die Schwäche. Aber an jenem Tag, an dem er Lady Jane begegnet war, hatte dieser Kampf ihm alles abverlangt. Nach stundenlanger Fahrt in der Kutsche mit niemand anderem zur Begleitung als seinem schweigsamen, in Gedanken versunkenen Bruder, war Byrne sehr … nun, es genügt zu sagen, dass ihm ziemlich unerträglich zumute war.
Das Fest der Hampshires fand auf deren Landsitz statt und sollte sich über das ganze Wochenende erstrecken. Byrne musste sich an diese Festivitäten erst gewöhnen, und für ihn war es wichtiger, die nächsten fünf Minuten durchzustehen als das ganze Fest.
Er hatte sich das Rennen angesehen. Hatte beobachtet, wie die Pferde über die ovale Sandbahn donnerten, mit der Lord Hampshire seinen Park ruiniert hatte; er erinnerte sich, dass er sich nach einem Streit mit Marcus sehr bedrückt gefühlt hatte. Tief in Gedanken versunken, hatte er auf die Rennstrecke gestarrt.
Nichts hätte er lieber getan, als sich zu betäuben. Am Abend zuvor war es ihm gelungen, auf das Laudanum zu verzichten. Selbst nur wenigen Tropfen des kostbaren Medikaments, das er in einer kleinen Phiole mitgebracht hatte, hatte er entsagt. Ich muss es mir einteilen, damit es noch lange reicht, beschwor er sich, ich darf es nicht einnehmen, nur weil mir gerade danach ist. Deshalb hatte er auf das Medikament verzichtet, seit er nach London zurückgekehrt war.
Aber er war müde. Dabei sollte er doch die Augen offen halten nach allem, was ihm verdächtig vorkam. Während des Krieges hatte er sein Können in den Dienst der Krone gestellt, und seine Umgebung genau zu beobachten war ihm mittlerweile zur zweiten Natur geworden. Aber jetzt schwitzte er unter dem engen Hemdkragen, und die Sonne schien so verdammt warm, dass er sich am liebsten davongeschlichen hätte. An der Rennstrecke ging es laut zu, die Zuschauer um ihn herum feuerten ihre Favoriten an, sie riefen und schrien und sie
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