Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
Verdammt.
Byrne stand auf und griff sich seinen Stock. Splitternackt ging er hinaus in die Dunkelheit und tauchte in den See ein. Doch dessen sanfte Kühle war nur ein unzulänglicher Ersatz für Feuer und Zimt.
11
Es war eine unumstößliche Wahrheit in Janes Leben, dass etwas wie vom Erdboden verschluckt zu sein schien, wenn sie es dringend brauchte. Da sie ungewöhnlich gut organisiert war, schob sie die Schuld an diesem Phänomen auf Faktoren, die außerhalb ihrer Kontrolle lagen – wie etwa auf die Menschen, mit denen sie zusammenlebte.
»Jason, wo um alles in der Welt hast du meine blassblauen Handschuhe versteckt?«, rief Jane, als sie in die Bibliothek stürmte. Seit Tagen hatte Jason sich dort verkrochen und war nur zu den Mahlzeiten herausgekommen. Vermutlich brütete er über einem Papier für die Historische Gesellschaft und würde, sobald er es fertig hatte, so schnell wie möglich abreisen. Aber zumindest jetzt hält er sich noch im Haus auf, dachte Jane. Und angesichts seines winterschlafähnlichen Verhaltens musste sie sich eingestehen, dass er höchstwahrscheinlich nichts mit ihren Handschuhen angestellt hatte. Doch da er der Letzte war, den sie überhaupt fragen konnte, stand er unter größtem Verdacht.
»Ich habe sie auf dem Sofa im Wohnzimmer liegen gelassen. Hast du sie woanders hingelegt?«, fragte sie, durchquerte das Zimmer und schaute hier und dort unter verschiedenen Stapeln nach.
»Warum um alles in der Welt sollte ich deine Handschuhe woanders hinlegen? Du verlierst doch ständig irgendwelche Sachen«, brummte Jason und schrieb weiter, ohne aufzuschauen.
»Das stimmt nicht, nimm das sofort zurück«, entgegnete Jane beleidigt.
»Dann geh doch einfach ohne«, Jason zuckte die Schultern, »es ist doch sowieso viel zu heiß für Handschuhe.«
Sie stöhnte auf und konnte es kaum fassen. »Ohne Handschuhe kann ich nicht ins Dorf fahren. Und die blassblauen sind die einzigen, die zu meiner Garderobe passen.« Was nicht ganz der Wahrheit entsprach … die weißen hätten es auch getan … aber wann sonst konnte ein weibliches Wesen sich so geziert aufführen, außer es ging um die Garderobe? Sie ging zum Tisch und fing an, in den Papieren zu kramen.
»Also hör mal! Warum hörst du nicht damit auf, mich bei meiner Arbeit zu stören?«, beschwerte sich Jason und schnappte nach dem Brief, den Jane in der Hand hielt, absichtlich außerhalb der Reichweite ihres Bruders.
»Wem schreibst du denn? Etwa noch mehr Liebesbriefe?« Jane hielt das Blatt immer noch außerhalb seines Zugriffs, während Jason versuchte, es ihr wegzunehmen. »Ich habe gehört, dass Penelope Wilton sich zurzeit in Reston aufhält.«
Jason erstarrte. »Penelope Wilton?«, fragte er und senkte langsam den Arm.
»Hm«, gab Jane zurück und überflog den Brief. »Ja. Jetzt natürlich Penelope Brandon.« Auf ihrer Stirn zeigten sich zarte Falten. »Warum schreibst du an den Verwalter von Crow Castle?«
Jason seufzte. »Weil ich aus diesen Kontobüchern nicht schlau werde.« Er zeigte auf den Tisch, auf dem sich die Papiere und Wirtschaftsbücher fast einen halben Meter hoch stapelten. »Ebenso wenig wie aus der Buchhaltung für die Ländereien in Surrey, Brighton, und das Haus in London. Wenn es um Zahlen geht, war ich schon immer ein hoffnungsloser Fall.«
Jane fuhr mit der Hand über die Bücher, deren Lederbindung zarte Einrisse zeigte und deren Seiten die deutlichen Spuren häufigen Umblätterns aufwiesen. Sie warf einen prüfenden Blick auf Jasons Finger, die tatsächlich tintenverschmiert waren. Also arbeitete er schon eine ganze Weile an der Buchhaltung.
»Du hast die Konten durchgesehen?«
Jason blickte sie schief an. »Selbstverständlich habe ich das. Seit über einem Jahr hat Vater keinen Blick mehr in die Bücher geworfen. Dabei schicken die Verwalter uns Quartalsberichte, die aber nicht in die Buchhaltung übernommen worden sind … was glaubst du wohl, was ich in der vergangenen Woche hier getan habe?«
Jane zuckte kleinlaut die Schultern. »Ein Papier über die Architektur der Gasthäuser im Norden verfasst?«
Jason nahm ihr den Brief aus der Hand und machte sich daran, ihn zusammenzufalten und zu versiegeln. »Wie auch immer, ich habe den Verwalter von Crow Castle gebeten, mir ein paar Fragen zu den Berichten zu beantworten.«
Unwillkürlich stieg Jane eine Träne ins Auge, als sie auf ihren Bruder hinunterlächelte.
Jason verdrehte die Augen. »Oh, um Himmels willen, schau mich nicht so
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