Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
an.«
»Es tut mir leid«, schniefte sie, »aber ich freue mich einfach so sehr.«
»Wenn du unbedingt sentimental werden musst, dann bitte anderswo. Sonst verschmiert mir noch die Tinte in den Büchern.« Jason stand auf und richtete seinen Frack, bevor er sich mit der Hand durch das dichte Haar fuhr.
»Ich habe eine Idee«, sagte Jane fröhlich. »Warum laden wir die Verwalter von Crow Castle und des Anwesens in London nicht einfach hierher ein? Dann können sie dir erklären, wie sie die Bücher führen.« Sie blickte ihren Bruder hoffnungsvoll an; Jason schien kurz nachzudenken, verwarf den Vorschlag dann aber mit einem Schulterzucken.
»Das ist bestimmt nicht nötig«, brummte er.
»Du hast ganz recht«, erwiderte Jane, obwohl sie das Gegenteil für richtig hielt. »Ich fahre jetzt ins Dorf und kann den Brief für dich mitnehmen.«
»Ehrlich gesagt, würde ich dich gern begleiten … vielleicht auch mit dir die Besuche abstatten«, sagte Jason und errötete leicht.
»Wirklich?«, hakte Jane verschmitzt nach. »Hast du einen bestimmten Besuch im Sinn? Vielleicht bei Penelope Wilton?«
»Mittlerweile Penelope Brandon«, erwiderte Jason, der nervös an seinen Manschetten zupfte. Dann lächelte er Jane charmant an und drückte ihr den Brief an den Verwalter in die Hand. »Aber ich werde dich das Porto zahlen lassen. Vielen Dank.«
Während Jason zur Tür schlenderte, schaute Jane ihm leicht verblüfft nach. Dann lächelte sie – aber nur so lange, bis sie einen Zipfel blassblaues Ziegenleder unter einem Stapel Kontobücher auf dem Fußboden hervorlugen sah.
»Also doch! Ich habe gewusst, dass du meine Handschuhe verlegt hast!«
Sir Wilton so zu schmeicheln, dass er Einzelheiten über die Raubüberfälle preigab, ist das eine, dachte Jane, als sie sich kaum merklich gegen die Lehne des Brokatsofas der Wiltons zurücksinken ließ. Aber das zu tun, wenn man dabei zusehen konnte, wie sich Victoria Wilton zum Narren machte, um Jason zu gefallen, ist etwas ganz anderes.
Man hatte sich im Salon auf der Westseite des Hauses versammelt, weil es hier bis zum Nachmittag am kühlsten blieb: Jane und Jason, Penelope und Victoria sowie Sir Wilton mit den beiden Jungen Joshua und Michael, die nach Belieben hinein- und hinausrannten. Penelopes kleine Töchter waren mit ihrer Großmutter und der Haushälterin der Wiltons ins Dorf gegangen. Lady Wilton tätigte den Wocheneinkauf und nutzte diese Gelegenheit, allen ihre Enkelinnen vorzuführen, angefangen beim Metzger und beim Schmied bis hin zum Pfarrer. Falls es Jane und Jason nicht gelingen sollte, das Haus zu verlassen, bevor die gute Lady zurückkehrte, würden sie garantiert zum Mittagessen bleiben müssen, und das wollten beide um jeden Preis verhindern. Denn das würde nicht nur den Tagesablauf des Dukes durcheinanderbringen, der seine Tochter beim Essen am Tisch haben wollte. Lady Wilton bevorzugte gehaltvolle Speisen, was die schmale Taille ihrer Töchter nur umso bewundernswürdiger machte – es konnte nur an deren eisernem Willen liegen, dass es auch so blieb.
So saßen sie nun in trauter Runde beieinander und sagten alle höflich »nein, danke«, als das junge Hausmädchen der Wiltons den Tee hereinbrachte, und Victoria vergeblich versuchte, ihn der versammelten Gesellschaft aufzudrängen. Die Unterhaltung verlief in etwa wie folgt:
»Sir Wilton, seit wir das letzte Mal hier waren, scheint Reston regelrecht aufgeblüht zu sein. Sie als führender Mann in der Grafschaft haben gewiss dazu beigetragen«, sagte Jane.
Auf Sir Wiltons Gesicht zeigten sich Flecken hektischer Röte, als er mit derart stolzgeschwellter Brust dasaß, dass ihm die Messingknöpfe von der Weste zu springen drohten. »Oh ja, in der Tat, wir haben uns sehr herausgemacht«, bestätigte er und kniff leicht die Augen zusammen. » Touristen haben angefangen, von uns Notiz zu nehmen, weil sie uns malerischer als Ambleside finden. Mir wäre es lieber gewesen, wenn sie ihr Gesindel dort behalten hätten. Ambleside ist ja praktisch zu einer Großstadt geworden. Die Hauptstraße haben sie jetzt mit Kopfsteinen gepflastert, können Sie sich das vorstellen? Die Erdstraßen hier in Reston sind für das Vieh viel besser geeignet. Und falls die Morgans jemals den Bau der Kuhtrift gestatten …«
Jason, der an Janes anderer Seite saß, verspürte das Verlangen, seine Meinung beizusteuern. »Nun, Sir Wilton, ich möchte behaupten, dass kopfsteingepflasterte Straßen der Geschichte eines Ortes eine
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