Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
gewisse Echtheit verleihen. In Kopenhagen haben meine Freunde und ich Leute getroffen, die uns erzählten, dass ihre Ururgroßväter das Pflaster gelegt haben.«
Woraufhin Victoria, die Hände vollauf mit dem Teetablett beschäftigt und die Augen voll der sehnsüchtigen Bewunderung für Jason, ergänzte: »Oh Mylord, das klingt ungemein faszinierend! Auf der Geschichte spazieren zu gehen!«
Penelope rief jetzt dazwischen: »Oh, Mylord, hören Sie bloß auf! Haben die Leute Ihnen auch erzählt, dass sie gegen einen sehr geringen Obolus einen Pflasterstein herausreißen würden, damit Sie ihn mit nach Hause nehmen können?«
Jason lachte. »Sie meinen, wie dieser alte Bettler …«
»… der versucht hat, uns Eintrittskarten für den Wanderzirkus zu verkaufen …«, ergänzte Penelope.
»… der allerdings schon die Woche zuvor durchgereist war«, schloss Jason, und die beiden ergingen sich in Gekicher wie damals, als sie noch jung gewesen waren.
Victorias betrübte Miene tat Jane im Herzen weh. Nach drei oder mehr Plauderschleifen, die alle damit endeten, dass Jason und Penelope über irgendwelche Jugenderinnerungen lachten, beschloss Jane daher, dass es nun genug sei.
»Gute Güte, Sir Wilton! Ich kann mir vorstellen, dass auch unerwünschte Elemente in diesem Ort unterkriechen, jetzt da er sich über das Ländliche hinausentwickelt«, sagte sie in ihrem Bemühen, die Unterhaltung auf das Wichtige zu lenken.
»Selbstverständlich! Gutes Kind, haben Sie nicht zugehört, was ich über das Kopfsteinpflaster gesagt habe?«, gab Sir Wilton zurück.
»Vater«, meldete Victoria sich zu Wort, »ich glaube, dass Lady Jane sich auf die Raubüberfälle bezieht.«
Jane fing Victorias Blick auf und erkannte darin den verschwörerischen Vorsatz der jungen Lady.
»Die Raubüberfälle! Der Straßenräuber! Das ist wirklich ein unglaubliches Ärgernis!«, rief Sir Wilton. Sein Gesicht färbte sich rotbraun; Penelope nickte.
»Stell dir vor, bis nach Manchester haben wir die Geschichten gehört, die man sich über ihn erzählt.«
»Wirklich?«, fragte sich Jason, dessen Aufmerksamkeit ungeteilt allem galt, was Penelope an Bemerkungen von sich gab.
»Oh ja! Man erzählt, er habe den gesamten Lake District heimgesucht. Tag und Nacht schlägt er zu und stiehlt Pferde, Geld und die Hälfte aller Juwelen in ganz England!«
»Falls er tatsächlich die Hälfte aller Juwelen in ganz England raubt, dann wundert es mich doch, dass seine Geschichte nicht weiter als bis Manchester gedrungen ist.« Jane gab sich die größte Mühe, ihre Stimme nicht sarkastisch klingen zu lassen. Sie bemerkte, dass Penelope den Mund leicht zusammenkniff, wandte sich aber Sir Wilton zu, bevor Victoria erneut eingreifen konnte. »Bestimmt können Sie uns verraten, was er tatsächlich an sich genommen hat.«
»Nun, äh, ja«, wich Sir Wilton aus, »aber warum möchten Sie das wissen?«
»Wüssten wir mehr über das Ausmaß der Taten dieses Mannes, würden sich nicht so leicht Legenden um seine Person ranken.«
Sir Wilton schien sich dieses Argument durch den Kopf gehen zu lassen, dabei warf er einen Blick hinüber zu seinem Amtszimmer, das auf der anderen Seite der Halle lag.
»Außerdem, Sir«, drängte Jane, »wenn der Mann teils wegen seiner Reputation so erfolgreich agieren kann, diese Reputation jedoch unverdient ist, dann ließe sich vielleicht …«
Aber ihr wurde nicht gestattet, ihre Gedanken fortzuführen, denn in diesem Moment stürmten Lady Wilton und die Haushälterin Minnie in den Salon. Minnie war beladen mit Einkaufstüten vom Metzger und Krämer, Lady Wilton hingegen mit Neuigkeiten.
»Nun, gerade haben wir etwas gesehen, wovon ich niemals geglaubt hätte, es auf meine alten Tage noch erleben zu dürfen!«, rief Lady Wilton, die sich heftig Luft zufächelte, wobei es diesmal weniger um die Sommerhitze als um überschießende Aufregung ging.
»Mylord.« Lady Wilton knickste, wenn auch ein wenig steif, um Jason zu begrüßen, und ließ den Blick kurz zu Penelope schweifen. Wenn Penelope bereit war, Jasons Freundschaft anstandslos zu akzeptieren, dann blieb ihrer Mutter auch nichts anderes übrig.
»Mama, wo sind die Mädchen?« Penelope stand auf, um ihre Mutter zu begrüßen.
»Bei Bridget, Darling«, erwiderte Lady Wilton und setzte ihre Haube ab.
Bridget muss die Kinderpflegerin sein, dachte Jane. Sie wusste nur zu gut, dass Lady Wilton nicht ins Dorf gegangen wäre, um ihre Großkinder vorzuzeigen, ohne die größtmögliche
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