Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
elektrisierendes Prickeln jagte ihr über den Rücken, als er sie berührte. Sie hielt still, als er ihr die Locke hinter das Ohr strich.
Und dann, ebenso unerwartet und sanft, wie seine Hand sie berührt hatte, zog er sie zurück. Als hätte sie sich niemals dorthin verirrt. Der Augenblick war vorüber.
Jane achtete darauf, dass sie ruhig weiteratmete, und warf einen Blick auf die Uhr, die sie an ihrer Bluse trug. Die Zeit war sehr schnell vergangen. »Es tut mir leid, ich muss gehen …«, fing sie bedauernd an, aber er hob die Hand.
»Eigentlich haben Sie überhaupt keine Zeit. Ich bin beeindruckt, dass es Ihnen überhaupt gelungen ist, eine Stunde zu erübrigen.«
Ja, eine gestohlene Stunde, dachte Jane, aber hergeben würde sie sie nicht. Er streckte ihr die Hand entgegen, die sie diesmal bereitwillig ergriff, und ließ sich den Fjell hinunter zurück zum See begleiten.
Zurück in ihren Alltag.
Der Traum fing an wie immer.
Er spürte, wie der Schmerz ihm das Fleisch aufriss, dort verharrte und in sein Blut eindrang. Um ihn herum loderte das Feuer, die orangefarbene Hitze und der Qualm raubten ihm die Sicht, die Dielen unter ihm begannen sich zu biegen und ächzten unter seinem Gewicht. Der Körper des toten Mannes neben ihm auf dem Boden wurde innerhalb weniger Sekunden vom Feuer verzehrt. Verschlungen. Fort. Dem Gedächtnis entrissen und für immer daraus verbannt. Aber um ihn tobten noch immer die Flammen.
Er konnte sich wieder bewegen. Sein Stock war fort, stattdessen hielt er eine Pistole mit kunstvoll gearbeitetem Silbergriff in seiner Hand. Er zielte damit auf die Stelle, an der der Mann gestürzt und Sekunden später in Rauch und Asche aufgegangen war.
Er musste hier raus. Er kämpfte sich zur Tür – und traf auf Glut und Hitze. Er lief zum Fenster und starrte auf die bodenlose Grube, die sich darunter auftat. Kein Ausweg.
Er spürte, wie Panik ihn ergriff, fühlte die Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Es gab kein Entrinnen. Am besten, wenn er sich setzte. Um sich von der Hitze und dem Feuer ergreifen zu lassen und …
Dann hörte er die Stimme.
Eine samtene tiefe Stimme. Ein perlendes Lachen. Der Geruch nach Zimt, der seine Sinne erfüllte. Er nahm einen Duft in der Luft wahr … von Jelängerjelieber. Er drehte sich um und schaute in ein Augenpaar, das so dunkel war wie der schwärzeste Achat. Der Widerschein des Feuers spiegelte sich darin.
»Komm mit mir«, sagte sie. Im Feuerschein schimmerte ihre Haut rötlich; er konnte die Sommersprossen darauf erkennen. Das Feuer reichte nicht an sie heran. Es verzehrte sie nicht so, wie es ihn verzehrte. Sie streckte ihm die Hand entgegen und zog ihn zu sich. Sie presste ihren Mund auf seine Lippen, nahm die Hitze, die in ihm glühte, in sich auf, und hauchte ihm Leben ein.
Urplötzlich waren sie der Feuerhölle entronnen, befanden sich in Sicherheit. Um sie herum war Nacht. Ihre Haut glänzte blass im Sternenlicht. Er spürte das Gras unter seinen nackten Füßen, unter seinen Knien, als er sie sanft mit sich zu Boden zog. Die kühle Nachtluft hüllte sie ein, als die Hitze erneut von ihm Besitz ergriff. Er streifte mit den Lippen ihre Kehle und küsste sie auf den Hals. Ein Feuer flammte in ihm auf, sprang auf sie über und glitt ihren Körper hinunter, weiter und weiter hinunter, bis …
Byrne erwachte abrupt. Er war in seinem Bett, in seinem kleinen Haus am See. Es war mondlose, stockdunkle Nacht. Er lauschte auf seinen schweren Atem. Von draußen war das Zirpen der Grillen zu hören, das sich mit den leisen Geräuschen des Hauses verband, das in seinen Fugen ächzte.
Für gewöhnlich erwachte er voller Entsetzen aus diesem Traum. Doch dieses Mal war es anders. Der Traum hatte sich verändert, war zu etwas Neuem und Faszinierendem geworden. Er hatte von Jane geträumt. Er war Jane begegnet, ihr Duft nach Zimt schwebte in der Luft. Eigentlich sollte er nicht überrascht sein. Seine Gedanken kreisten am Tage ständig um sie; sie hatte sich ihren Weg in sein Bewusstsein erobert. Wenn er versuchte, wieder einzuschlafen, könnte er den Traum vielleicht dort weiterträumen, wo er ihn verlassen hatte.
Aber sein Körper war hellwach, er brannte und barst fast vor Verlangen. Seine Muskeln waren angespannt, sein Glied steinhart, und zum ersten Mal seit einer Ewigkeit fühlte sein Bein sich an, als könnte er heute den Weg ins Dorf und zurück zu Fuß bewältigen. Heute Nacht würde er keinen Schlaf mehr finden; das stand für ihn fest.
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