Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
das zu entdecken, wonach sie suchte.
Fünfzehnter Januar 1816 – die Postkutsche wurde von einer unbekannten Person oder unbekannten Personen auf der Straße nach Windermere überfallen. Geraubt wurden elf Pfund sechs Schillinge in Scheinen und Münzen, dazu ein schmaler goldener Damenring mit schwarzem Stein, zwei Taschenuhren, eine aus Silber, die andere aus Zinn, und zwei Schuhschnallen. Die Suche nach der unbekannten Person oder den Personen wird ernsthaft betrieben …
Jane las nicht weiter. »Genau das brauche ich.«
Victoria sah Jane verschmitzt an. »Du bist wohl auf der Jagd nach dem Straßenräuber?«
Jane zog es vor, nicht zu antworten, um nicht zu viel preiszugeben. Man musste Victoria zugutehalten, dass sie nicht auf Antwort wartete, sondern weitersprach. »Du hast recht, in deinem Retikül kannst du das Buch nicht aus dem Haus schmuggeln.«
»Ich kann aber auch nicht hier sitzen und warten, bis deine Eltern uns entdecken, während ich die betreffenden Einträge abschreibe.«
»Das kann ich doch machen«, bot Victoria an. »Für mich ist es ein Leichtes, die Stellen abzuschreiben.«
»Würdest du das wirklich tun?«
»Ja, natürlich. Heute Abend. Sag mir nur, was du brauchst.«
»Alles, was mit dem Straßenräuber zu tun hat. Geh so weit zurück, wie du dich erinnern kannst, dass er euch Probleme macht. »Und dann kommst du morgen zum Tee zu mir und bringst mir die Abschriften.«
»Eine Verschwörung! Oh, wir werden viel Spaß haben!« Victoria klatschte in die Hände.
Jane musste über Victorias jugendlichen Eifer unwillkürlich lächeln. Inständig hoffte sie, dass diese Berichte Byrnes bis jetzt vorhandenen Informationen sehr viel mehr Einzelheiten hinzufügen würden. Vielleicht lag hier sogar der Schlüssel zu der Frage, wie sie den Räuber zur Strecke bringen konnten …
»Aber … oh, morgen kann ich nicht zum Tee kommen.« Victoria zog ein Gesicht. »Übermorgen findet der Dorftanz statt. Das heißt, dass meine Schwester und ich morgen mit den Vorbereitungen beschäftigt sind.«
Jane zog die Stirn kraus. »Dieses Tanzvergnügen findet jeden Monat statt, so regelmäßig wie ein Uhrwerk. Du kannst mir nicht weismachen, dass ihr nicht schon längst vorbereitet seid.« Sie zog einen Schmollmund, hatte sie doch gehofft, Byrne die Informationen so früh wie möglich präsentieren und ihn mit ihrer Tüchtigkeit überraschen zu können.
Aber Victoria blieb unbeeindruckt. »Dieses Fest ist die einzige Abwechslung weit und breit. Alle kommen hin. Besonders da jetzt …«
»Besonders da jetzt auch die Familie des Dukes of Rayne teilnehmen wird.« Jane verstand. Natürlich lastete wegen dieser Veranstaltung ein großer Druck auf den Wiltons. Die Leute würden von weither anreisen und in das Dorf einfallen – sehr zu Sir Wiltons Leidwesen. Von Victoria wurde erwartet, dass sie sich von ihrer vorteilhaftesten Seite präsentierte, während sie selbst nur für Jason so schön wie möglich sein wollte. Kein Zweifel, dass Lady Wilton den Druck noch erhöhen würde. Und da saß Jane nun und ärgerte sich darüber, dass sie die Abschriften nicht so schnell bekommen würde, wie sie es gern gehabt hätte.
»Könntest du die Abschriften nicht mit zum Tanz nehmen?«, fragte Jane. Ihre Stimme klang nun sanfter und freundlicher. Höflich zu fragen, anstatt Befehle zu erteilen brächte sie womöglich weiter. Und die Taktik war erfolgreich.
»Das kann ich tun«, entgegnete Victoria. »Ich werde alles abschreiben und …«
In diesem Moment wurde die Tür zum Büro aufgerissen. Michael und Joshua standen tropfnass im Türrahmen.
»Vicky!«, schrie Joshua, »du hättest uns sehen sollen … alle sind uns nachgejagt, der Marquis und Penelope und Papa und Mama, aber in der Biegung haben wir sie abgehängt!«
Michael nickte und schüttelte sich das Wasser ab wie ein Welpe. »Du glaubst nicht, was für einen Riesenspaß wir gehabt haben!«
12
Der Dorftanz in Reston fand am dritten Montag eines jeden Monats statt, und zwar in der Versammlungshalle auf dem Gemeindeplatz des Dorfes. Als Jane noch ein Kind gewesen war, hatte sie diese Zusammenkünfte gehasst. Ihre Mutter hatte stets dafür gesorgt, dass sie zu diesem Anlass makellos weiße Kleidung trug, doch es war Jane nie gelungen, diesen Zustand zu wahren. Die Duchess sprühte immer vor Freude und plauderte angeregt … aber für ein Kind war nichts schrecklicher als Eltern, die sich prächtig amüsierten, während man selbst vor Langeweile verging.
Das
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