Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
der Tatsache, dass er die Briefe seiner Schwägerin Mariah schon seit einer Ewigkeit nicht mehr beantwortet hatte, war er überzeugt, dass es keine bedeutenden Neuigkeiten gab, und antwortete daher nur mürrisch und einsilbig. Mr Cutler erkundigte sich nach Byrnes Militärdienst während des Krieges und schnitt damit ein Thema an, das Byrne noch weniger schätzte; dementsprechend fielen die Antworten noch kürzer und mürrischer aus.
Byrne gab sein Bestes, auch wenn er nicht verstand, warum die Dorfbewohner ein geradezu verzweifeltes Bedürfnis hatten, über jeden Menschen restlos alles zu erfahren. Und ihm wurde klar, dass er irgendwann auf seinen Reisen die Fähigkeit verloren hatte, charmant und einnehmend aufzutreten – ein Mann zu sein, der sich mit Menschen, die ihm fremd waren, über Nichtssagendes unterhalten konnte und dabei zufrieden war.
Würde er diese Fähigkeit jemals wieder zurückgewinnen? Er wusste es nicht.
Die Männer verabschiedeten sich nach kurzer Zeit.
Der einzige Mensch, den er hätte ertragen können, tauchte nicht auf. Jane Cummings blieb fort. Selbst als die Frauen aus Reston dazu übergingen, dass je eine von ihnen ihn täglich besuchte, ihm die Kissen aufschüttelte, Tee aufsetzte und Stoffmuster vorbeibrachte (sie waren offenbar der Meinung, dass er Fürsorge brauchte und hatten einen Besuchsplan ausgearbeitet; solange sie sich dabei auf das Wohnzimmer beschränkten, gelang es ihm, ihrer Neugier standzuhalten), gehörte Jane nicht zu ihnen.
Er machte ihr keine Vorwürfe, dass sie ihn mied. Er hatte sich ihr von seiner schlimmsten Seite gezeigt, wahnsinnig vor Schmerz, fauchend und knurrend.
Nur eine einzige Nachricht kam von ihr, überbracht von einem der Hausdiener, die besagte, dass sie die abgeschriebenen Seiten aus Sir Wiltons Buch gelesen habe und sie ihm zur Prüfung beilege. Das war alles. Kein Hinweis darauf, dass sie ihn besuchen und die Abschrift besprechen wollte. Keine Angabe von Gründen, warum sie ihm aus dem Weg ging.
Bestimmt bemitleidete sie ihn.
Der Gedanke verursachte Byrne stärkere Magenschmerzen als Mrs Fredericksons Blutpudding (den sie freundlicherweise an »ihrem Tag« vorbeigebracht hatte). Und so ging es über eine Woche: Byrne lag auf dem Sofa und lagerte sein Bein hoch, prüfte nichtsdestotrotz täglich dessen Belastbarkeit; er ertrug die Einmischung der Dorfladys täglich gnädiger, die gewiss in bester Absicht erfolgte, aber trotzdem höchst lästig war, und fragte sich, ob er wohl von Jane hören würde.
Trotz all der Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde, hatte sich seine Zeit am See noch nie so qualvoll langweilig hingezogen.
Aber das änderte sich, als der Straßenräuber erneut zuschlug.
Lady Jane Cummings war ein Feigling.
Anders konnte man es nicht ausdrücken. Nach den dramatischen Ereignissen an jenem Morgen vor über einer Woche fand sie sich bemerkenswert beschäftigt. Oder, um es genauer zu sagen, sie sorgte dafür, dass sie bemerkenswert beschäftigt war.
Jedes Wäschestück in ihren Schränken und Kommoden nahm sie in die Hand, prüfte, was geflickt werden musste und was weggeworfen werden konnte. Täglich machte sie mit ihrem Vater Spaziergänge. Plante mit der Köchin die Menüs des nächsten Monats. Inspizierte mit dem Obergärtner die Gärten und beschloss, den Rand des südlichen Rasens neu zu bepflanzen. Sie blätterte sich durch den Stapel Bücher, den sie aus London mitgebracht hatte, und las sieben davon. An all ihre Freunde schrieb sie Briefe, schickte nach den Noten für eine neue Sonate, um sie auf dem Pianoforte zu spielen; von allen Herausgebern von Modejournalen, die ihr einfielen, forderte sie Kopien von Modezeichnungen an.
Sie machte einen Besuch im Dorf und war erfreut zu sehen, dass Joshua Wilton nach ein paar Tagen Ruhe schon wieder herumtollte, wie der Schmutz an seiner und Michaels Kleidung bewies.
An den Abenden spielte sie mit ihrem Vater Schach und verlor neunzehn von den zwei Dutzend Partien. Jason trieb sich entweder im Haus herum und klagte über Langeweile, oder er ritt aus. Daran, sich um seinen Vater zu kümmern, beteiligte er sich nicht. Jane war verärgert, als sie feststellte, dass er jegliches Interesse verloren hatte, sich in die Buchführung einzuarbeiten. Stattdessen ließ er die Wirtschaftsbücher unbeachtet in der Bibliothek liegen, wo sie langsam Staub ansetzten – da Jane es den Hausmädchen untersagt hatte, die Tische zu putzen. Sie wollte, dass die Bücher genauso liegen blieben, wie
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