Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
unmissverständlich gesagt, konnte er sich glücklich schätzen, wenn die Dorfbewohner darauf verzichteten, ihn zu teeren und zu federn. Jane ging jede Wette ein, dass es keine Stunde gedauert hatte, bis alle im Dorf über seine Weigerung Bescheid gewusst hatten. Warum war er so brüsk gewesen? Warum hatte er sie nach Sir Wiltons leidenschaftlicher Bitte nicht ins Haus gelassen?
Was verbarg er?
Als sie das Ende des Pfades erreichte, war aus ihrer Verärgerung Neugier geworden.
Und nachdem sie die Veranda erklommen und an die Tür geklopft hatte, brannte sie förmlich vor Ungeduld.
»Was ist?«, rief er, und sie riss die Tür auf, ziemlich dramatisch, wie sie dachte –, und musterte Byrne durchdringend.
Er saß an seinem Schreibtisch und las, schaute aber nicht auf. Wie üblich rollte er den Stock zwischen den Handflächen hin und her.
Selbstverständlich wusste er, dass sie in der Tür stand. Jane spürte, wie er auf sie lauschte und abwartete, dass sie sich bewegte. In diesem Moment wusste sie, dass er etwas verbarg.
»Bin ich auch unerwünscht?«, fragte sie und schlug einen leicht ironischen Ton an. »Ich weiß ja nicht, ob du vielleicht entschieden hattest, dass niemand je wieder dieses Haus betreten darf.«
Er schaute auf und lächelte – lächelte! – sie an. »Du bist immer willkommen. Auch wenn du dieses Vorrecht in der vergangenen Woche recht selten genutzt hast. Möchtest du vielleicht eine Tasse Tee? Ich arbeite mich gerade durch die grünen Mischungen.«
Jane achtete weder auf seine Stichelei noch auf sein Angebot einer Erfrischung. Sein Lächeln war allerdings viel schwerer zu ignorieren, aber sie unterdrückte das zarte Nervenflattern, das es in ihr wachrief. Schließlich war sie aus gutem Grund hergekommen.
»Natürlich ist dir klar, dass du jeglichen guten Willen zerstört hast, den du dir letzte Woche erworben hattest.«
»Ja, das ist mir klar.« Sein Blick folgte ihr, als sie das Zimmer durchquerte und auf dem Sofa Platz nahm.
»Sir Wilton hat es inzwischen wohl schon seiner Frau berichtet, die es wahrscheinlich allen anderen in Reston erzählt hat.«
»Jane, das ist mir klar«, wiederholte er.
»Und ich bin ehrlich erschüttert, dass es dir gelungen ist, nicht verhaftet zu werden, wenn auch nur, weil du so ein unglaublicher Rohling gewesen bist!«
»So bin ich eben.«
Sie drehte sich zu ihm. »Dann bleibt nur noch eine Frage«, bemerkte sie mit honigsüßer Unschuld. »Warum?«
»Warum was?«
»Warum wolltest du keine Durchsuchung?«, präzisierte sie ihre Frage und lehnte sich auf dem Sofa entspannt zurück. »Ich denke, Sir Wilton hat sein Anliegen sehr leidenschaftlich und überzeugend vorgetragen. Warum also wolltest du ihn nicht hereinlassen?« Sie beugte sich vor und sprach leise und verführerisch. »Was verbergen Sie, Mr Worth?«
Zum ersten Mal, seit sie eingetreten war, verschwand sein Lächeln, und sein Kinn spannte sich an. »Was, wenn ich einfach nur felsenfest an das Recht auf Privatsphäre glaube?«
»Das halte ich kaum für möglich bei jemandem, der im Krieg als Spion in die Privatsphäre anderer Menschen eingedrungen ist«, konterte sie. »Byrne, was verbirgst du?«
Einen Moment lang schwieg er, dann schaute er auf die Papiere, die vor ihm lagen.
»Vielleicht habe ich Miss Victoria geschützt«, erwiderte er.
»Victoria?«
»Und im weiteren Sinne auch dich.« Er lächelte wieder und wirkte erleichtert, als er die Papiere hochhielt. »Diese Abschriften. Sir Wilton hätte es gar nicht gefallen, sie in meinem Haus zu finden.«
Jane schüttelte nur den Kopf. »Sie hätten doch nur nach gestohlenen Gegenständen gesucht, nicht nach irgendwelchen Dokumenten. Ein einziges Mal frage ich dich noch, und dann werde ich für immer verschwinden. Was verbirgst du, Byrne? «
Er hielt ihren Blick fest und betrachtete sie lange. Zuerst dachte Jane, er wolle sie mit seinem starren Blick in die Knie zwingen; dann begriff sie, dass er überlegte, was er ihr antworten sollte.
Er zog es vor, nichts zu sagen. Stattdessen erhob er sich abrupt und humpelte zur Treppe. Mit einem Blick über die Schulter forderte er Jane auf, ihm zu folgen.
Fast mühelos bewältigte er die Stufen, und blieb dann auf dem Treppenabsatz stehen. Jane hatte noch nie das Obergeschoss von Witwe Lowes Haus betreten, und so veranlasste ihre Neugier sie, ihm zu folgen. Oben angekommen schaute sie sich um. Sie befand sich auf einem kleinen Dachboden mit niedriger Decke und unfertigen Wänden. Ein Stuhl
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