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Der Sommer der Schmetterlinge

Der Sommer der Schmetterlinge

Titel: Der Sommer der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lisboa
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nicht mehr ausgezogen wurden, mit geteiltem Bett, das sie jedoch nicht teilten.
    Es war gar nicht gut, an das Café Florian zu denken.Als Kopfschmerz drang der junge Venezianer namens Paolo in Maria Inês’ Erinnerung ein. Ihr Ehemann João Miguel sprach sehr gut Italienisch, João Miguel, das Sprachtalent, eine Fähigkeit, die Maria Inês nie erlangt hatte. Mit viel Mühe brachte sie ein langsames, holpriges Englisch hervor. Und dann dieser junge Venezianer namens Paolo. Einen Stapel Ansichtskarten in der Hand, überquerte Maria Inês inmitten unzähliger Tauben den Markusplatz. Am Tisch des Florian saß João Miguel neben einem jungen Venezianer namens Paolo. Maria Inês hielt eine weiß umrahmte und mit dem Wort Venezia betitelte Fotografie in der Hand, sie zeigte einen Kanal mit dunkelgrünem Wasser, ein Gebäude mit maurischen Fenstern und einen vor einer nackten Mauer stehenden Baum mit kahlen Ästen. Venezia . Ein schmerzhafter Stich – nicht mehr.
    Maria Inês erinnerte sich: Am nächsten Tag hatte sie die Karte mit den maurischen Fenstern und dem Baum mit den kahlen Ästen, pflichtgemäß mit warmherzigen Worten versehen, an Clarice geschickt. Wie üblich wurde die Wahrheit nicht ausgesprochen, nicht einmal angedeutet. Die Wahrheit über den Schmerz und einen hübschen jungen Venezianer namens Paolo.
    Und andere Wahrheiten, über andere, ältere Schmerzen. Viel ältere, die fortdauerten.
    Etwa zehn Tage zuvor hatte sie sich zu der Reise auf die Fazenda entschlossen (wo sie einst mit ihrem Cousin João Miguel einen Geldbaum gesät hatte). Am Weihnachtsabend.Ein kühner Entschluss, der gegen einige Punkte des Protokolls verstieß, dass sie selbst entworfen und angenommen hatte. Diesmal würde sie João Miguel nicht auf seiner Reise zu den Ländereien von Papa Giulio, dem vecchio Azzopardi, begleiten. Das war erfreulich und traurig zugleich, Karneval und Aschermittwoch in einem, und sie musste sich eingestehen, dass ihre Träume stets zu eng oder zu weit, dass sie hässlich, zerknittert und fadenscheinig waren.
    João Miguels Antwort auf ihre Kühnheit war völliges Desinteresse gewesen. Maria Inês hörte ihn am Abend dieses 24. Dezembers am Telefon, wie er sagte: Ich denke, wir können die Stunde am Donnerstag fürs Erste beibehalten. Danach senkte er die Stimme zu einem Flüstern. Der Tennislehrer. Ein kurzer Schauer lief über ihre Arme.
    Ein hübscher Venezianer namens Paolo am Tisch des Florian.
    Am Weihnachtsabend setzte sich ihre Tochter Eduarda auf das weiße Sofa und legte ein Lied ein, das Maria Inês nicht kannte. There’s a little black spot on the sun today , hieß es darin. Eduarda trällerte mit. Sie war vor kurzem neunzehn geworden. Und an jenem Abend des 24. Dezembers, während João Miguel mit dem Tennislehrer telefonierte, vernahm sie den Entschluss ihrer Mutter: Gleich nach dem Jahreswechsel fahre ich auf die Fazenda. Ich komme mit, sagte Eduarda spontan, und es gelang ihr nicht, den Schatten eines leichten Erschreckens zu übersehen, der für einen Moment über Maria Inês’ Gesicht huschte.
    Auf der Fazenda gab es einen verbotenen Steinbruch. Es gab ein altes Haus, das verbotene Gefühle barg. Es gab auch eine gewisse Ipê-Fazenda, wo ein vor Eifersucht wahnsinnig gewordener Mann ein anderes Verbrechen begangen hatte. Und es gab einen Geldbaum, der nie gesprossen war.
    Es gab noch mehr: ein Kind von neun Jahren. Eine halbgeöffnete Tür. Die Übelkeit, die Angst. Einen erwachsenen Mann. Eine blasse Brust, die der Blick unfreiwillig erhaschte: durch die halbgeöffnete Tür. Eine erwachsene Männerhand auf der Brust, deren Blässe unwirklich, fast gespenstisch schien.
    Die Fazenda war einmal der Mittelpunkt von Maria Inês’ Leben und Hoffen gewesen. Bis dort die Alpträume herrschten. Seit zehn Jahren hatte sie das Gut nicht betreten. Seit zehn Jahren hatte sie Clarice, ihre Schwester, nicht gesehen.
    Möchte jemand Wein?
    João Miguel sah blendend aus, elegant gekleidet. Das volle graue Haar und die schwarzen Augen, die früher, viel früher, beim Pflanzen eines Geldbaums erwartungsvoll geleuchtet hatten. Anfangs hatte man ihn zu Ehren eines früh verstorbenen Onkels Michele gerufen, am Ende wurde der Name aber doch übersetzt, denn in Brasilien trug er ihm wegen des nicht erkennbaren Geschlechts unvermeidliche Probleme ein. Und er bekam jenen Zusatz, João, weil seine Mutter Doppelnamen liebte und sein Vater ihre Wünsche damals noch gern erfüllte. Damals, als sie noch neu für ihn

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